Der Transformationsblues

AfD, Klimastreit, Bauernproteste: Vier Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Universität Jena haben mittels einer Bevölkerungsbefragung die gesellschaftlichen Verwerfungen um die sozial-ökologische Transformation untersucht

Von Nina Apin

Sachsen im Hochsommer. Alle paar Meter grüßt ein aggressives Wahlplakat. Die AfD findet „Keine Heizung ist illegal“, die rechtsextremen Freien Sachsen wollen ausländische Kriminelle „nach Berlin abschieben“. Auf anderen Plakaten wird über Lastenfahrräder, Bioessen und Gendersternchen hergezogen.

Wer wissen will, warum es gerade die Grünen sind, die derzeit nicht nur im Osten zur Zielscheibe politischer Hetze werden, sollte die soziologische Analyse von vier Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Universität Jena lesen. Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber und Matthias Schmelzer haben in einer repräsentativen Umfrage 4.000 Menschen zu ihren Einstellungen und Gefühlen bezüglich des gesellschaftlich-ökologischen Wandels sowie zu ihren Alltagsgewohnheiten und sozio-ökonomischer Situation befragt. Die Ergebnisse haben sie in dem Band „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt“ zusammengefasst, der eine Art Mentalitätslandkarte Deutschlands entwirft.

Heiter ist diese Landkarte nicht gerade: Die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft drohe zu scheitern, schreiben die Autor*innen. Im Gegensatz zur vielbeachteten „Triggerpunkte“-Analyse der Wis­sen­schaft­le­r*in­nen um Steffen Mau, die Ende 2023 noch eine stabile Mitte und einen Konsens für notwendige Veränderungen in der deutschen Bevölkerung vorfanden, sieht das Quartett aus Jena diesen Konsens nun „aus­gehöhlt“. Und das nicht nur an den politischen Rändern: Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen sprechen von einer „gemeinsamen Frontstellung gegen eine Klima- und Transformationspolitik, die als sozial unausgewogen, übereilt und ideologiegetrieben wahrgenommen wird“.

Wohlhabende städtische Grü­nen­wäh­le­r*in­nen gegen überforderte „einfache“ Leute? So einfach ist es laut den Au­to­r*in­nen nicht. Der Konflikt um einen klimagerechten Umbau des Landes finde nicht nur von oben nach unten statt – sondern genauso auf der Horizontalen, zwischen einem „materiell-eigentumsbasierten“ und einem „postmateriell-bildungsbasierten“ Lager. Während die einen von Geschwindigkeit und Ausmaß des gesellschaftlichen Wandels überfordert sind, blicken die anderen optimistisch auf Veränderungen.

Dennis Eversberg et al.: „Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt“. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2024, 221 Seiten, 34 Euro

Dieser Veränderungskonflikt werde politisch und medial allerdings überbetont und falsch dargestellt, finden die Autor*innen. So sei das ökosoziale Spektrum sehr uneinheitlich und die pauschale Unterstellung von sozialer Unsensibilität ungerechtfertigt: Viele Wohlhabende träten sehr wohl für sozialen Interessensausgleich ein – andere wieder lebten ökonomisch prekär und seien eher konservativ-verzichtsorientiert eingestellt.

Nach Ansicht der Au­to­r*in­nen verläuft der Konflikt nicht ideologisch zwischen Grünen- und AfD-Wähler*innen, wie gängige Analysen behaupten. Die entscheidenden Widerstände gegen transformative Politik kämen aus den Zentren wirtschaftlicher Macht und von einer besitzenden Klasse; gegen eine ­angemessene Beteiligung großer Vermögen an den Kosten, gegen Sozialbindung und verbindliche Regeln.

Ein Verteilungskonflikt also, auf Kosten derer, die im Buch als „innere“ und „äußere Peripherie“ bezeichnet werden: Pflege- und Dienstleistungsbeschäftigte, landwirtschaftliche Saisonkräfte, Mittellose und diejenigen, die anderswo die Grundlagen unseres Wohlstands erwirtschafteten.

Im Gegensatz zur „Triggerpunkte“-Analyse, die einen Konsens für Veränderungen in der Bevölkerung vorfand, sieht das Quartett diesen Konsens „ausgehöhlt“

FDP und Union und AfD versuchten von dieser Konfliktdimension abzulenken, indem sie die im übergeordneten Überlebensinteresse aller liegende Klimapolitik zum Spezial­anliegen der Grünen umdeuteten – und so die die Interessen wohlhabender Eigenheim- und Au­to­be­sit­ze­r*in­nen schützten.

Kann es unter diesen Vorzeichen eine Klimawende überhaupt geben? Die Jenaer Au­to­r*in­nen bejahen das sehr vorsichtig und geben politische Empfehlungen: Keine Moralappelle an die Einzelnen, sondern verbindliche politische Weichenstellungen für alle samt Ausbau einer ressourcenschonenden öffentlichen Infrastruktur. Umverteilung durch höhere Belastung der Vermögens-und „Vermschmutzereliten“. Mehr demokratische Partizipation statt Werben um „Akzeptanz“.

Dann, und nur dann, könnte die ökosoziale Transformation, so schlecht sie derzeitig politisch durchsetzbar sei, doch noch gelingen.