Vereinnahmtes Gedenken

Erinnerung an die Deportation der Russlanddeutschen in Marzahn

Von Marina Mai

Für die meisten BerlinerInnen ist der 28. August kein Tag, den man sich im Kalender anstreicht. Doch für Russlanddeutsche ist es ein wichtiger Gedenktag. Nachdem Hitler im Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, gab es wenige Wochen später einen Erlass der UdSSR zur Deportation aller Deutschen aus dem Wolgagebiet und anderen europäischen Teilen der Sowjetunion in entlegene Regionen Kasachstans und Sibiriens.

Der Grund: Russlanddeutsche wurden kollektiv der Kollaboration mit Nazideutschland verdächtigt. Menschen wurden in Viehwagen zusammengepfercht und in der kasachischen Steppe „abgekippt“, wo sie sich selbst Erdhütten graben und Zwangsarbeit leisten mussten. In den Zwangsarbeitslagern mussten sie bei schlechter Ernährung, extremer Kälte und Schlägen harte Arbeit leisten. Hunderttausende Russlanddeutsche starben in den Lagern oder auf dem Transport dorthin.

2001 wurde auf Initiative des russlanddeutschen Vereins Vision auf dem Parkfriedhof Marzahn ein Gedenkstein für die in der Deportation umgekommenen Russlanddeutschen errichtet.

Diesen Mittwoch findet dort, wie jedes Jahr am 28. August, eine Gedenkveranstaltung statt. Waren diese anfangs noch überparteilich, wurden sie in den vergangenen Jahren unter dem Einfluss von Walter Gauks zunehmend von der CDU vereinnahmt. Gauks ist seit diesem Jahr Ansprechpartner für Spätaussiedler und Vertriebene und unter Russlanddeutschen umstritten.

In diesem Jahr lädt Gauks zu einer Gedenkveranstaltung ins Rote Rathaus ein, an der auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) teilnimmt. Dazu werden Russlanddeutsche aus Marzahn, Spandau und Marienfelde mit eigens gecharterten Bussen zur Veranstaltung gefahren. „Ein Rundum-sorglos-Paket der CDU, womit sie der Zielgruppe sagen will, die CDU sei für sie da“, kommentiert die Russlanddeutsche Dara Kossok-Spieß von den Grünen ironisch.

Kossok-Spieß freut sich zwar, dass es die Gedenkveranstaltung „endlich ins Rote Rathaus geschafft hat“. Sie wünscht sich aber mehr Gegenwartsbezug. Damit ist sie nicht allein. „Ich könnte ja hingehen, aber ich will die Omis nicht verschrecken“, sagt ein offen schwul lebender Russlanddeutscher der taz mit Blick auf die in die Jahre gekommene traditionell denkende Zielgruppe. Es ist also nicht verwunderlich, dass der Verein Riwwel eine Gegenveranstaltung im Kreativhaus auf der Fischerinsel in Mitte plant. Obwohl Vereinschef Nikita Heidt das Wort „Gegenveranstaltung“ nicht gern hört.

Der Verein repräsentiert Menschen, die in den letzten Jahren aus den GUS-Staaten nach Deutschland kamen. Sie stehen dem russischen Staat oft sehr viel kritischer gegenüber als viele derjenigen Russlanddeutschen, die schon in den 1990er Jahren nach Deutschland zogen. „Ich selbst habe Russland verlassen, weil es dort keine Meinungsfreiheit gibt. Andere kamen, weil sie dort nicht queer leben konnten und keinen Kriegsdienst leisten wollen“, sagt Heidt.