Niederländer vertrauen Europa nicht

60 Prozent der Niederländer lehnen die Verfassung ab. Teuro, Finanzbelastung und die Angst vor der Erweiterung bestimmen die Debatte

BERLIN taz ■ Der Vorschlag verrät Verzweiflung: Der niederländische Außenminister Bot riet einigen Landsleuten kürzlich, doch „lieber zu Hause zu bleiben“ und nicht am EU-Referendum teilzunehmen. „Es ist nicht fair, aus irrationalen Gründen mit Nein zu stimmen.“

Nach einem Nein sieht es aus: 60 Prozent der befragten Niederländer wollen sich am 1. Juni gegen die EU-Verfassung aussprechen. Das Referendum ist nicht bindend, aber die Regierung versprach das Votum zu befolgen, falls sich mehr als 30 Prozent der Bürger beteiligen.

Bisher wissen die meisten Wähler nicht, worüber sie entscheiden. Sowohl Befürworter wie Gegner geben an, die EU-Verfassung nicht zu kennen. „Die Diskussion dreht sich nur um die verkehrten Dinge“, beklagt der linksliberale Wirtschaftsminister Brinkhorst. So empört es die Verfassungsgegner, dass die Niederländer die größten Nettozahler pro Kopf in der EU sind. Auch lehnen viele einen Türkei-Beitritt ab.

Doch entscheidend könnte die Debatte über den Euro werden. Schon immer waren viele Niederländer überzeugt, dass seit der Währungsumstellung 2000 alles teurer ist. Nun wurde dieser Verdacht von einer Autorität bestätigt: Der Direktor der Niederländischen Bank warf dem rechtsliberalen Finanzminister Zalm kürzlich vor, er habe den Gulden „zu billig“ gegen den Euro getauscht. Der Finanzminister kontert vehement – und macht damit das Thema Euro noch populärer.

Meist allerdings schweigen die etablierten Parteien – sie fürchten den „Pim-Fortuyn-Effekt“. In den Niederlanden ist das Misstrauen gegenüber dem Establishment so groß, dass eine offizielle EU-Werbekampagne die Wähler animieren könnte, aus Protest erst recht mit „Nein“ zu stimmen. Das belegen auch Erhebungen: Obwohl die EU-Reklame bisher so äußerst sparsam ausfiel, war sie vielen Wählern schon zu viel. 59 Prozent meinten, die Regierungskampagne hätte einen „negativen Einfluss“.

Trotzdem will das Kabinett sein Engagement jetzt verstärken und weitere 3,5 Millionen Euro für Anzeigen und Fernsehspots ausgeben. Genutzt hat das vor allem den Gegnern, die medienwirksam Klage einreichten: Auch sie müssten 3,5 Millionen Euro erhalten. Diese Forderung hat ein Haager Gericht gestern abgelehnt – aber dadurch dürften sich viele Verfassungsgegner bestätigt sehen, dass das politische Establishment immer zusammenhält.

Zur Schadensbegrenzung haben die oppositionellen Sozialdemokraten vorgeschlagen, nächstes Jahr einfach ein zweites Mal abzustimmen – falls nur die Niederländer die EU-Verfassung ablehnen sollten. Noch sind die Christdemokraten dagegen: „Nein ist Nein“, versicherte Ministerpräsident Balkenende.

ULRIKE HERRMANN