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Filme auf der Flucht

Mit einer Hommage an den Regisseur Na Gyi und die Schauspielerin Paing Phyo Thu würdigt das Filmfest Oldenburg die Filmkultur Myanmars und erinnert an den Widerstand gegen die dortige Militärdiktatur

Von Wilfried Hippen

Dieser Satz bringt das Dilemma der Widerstandsbewegung in Myanmar gegen die dortige Militärdiktatur auf den Punkt: „Als Russland die Ukraine angriff, hat die ganze Welt uns vergessen!“, sagt im Kurzfilm „Guilt“ des Filmemachers Na Gyi ein Fluchthelfer im Dschungel zwischen Myanmar und Thailand zu einer jungen Frau, die sich gerade noch vor ihrer Verhaftung ins Exil retten konnte. Na Gyi und die Hauptdarstellerin Paing Phyo Thu kennen eine­ ­solche Situation: Beide mussten aus ihrem Heimatland fliehen, weil sie gegen den ­Militärputsch von 2021 protestierten.

Paing Phyo Thu ist eine der beliebtesten Schauspielerin Myanmars. Ein Foto mit ihr vor einer riesigen Menge von De­mons­tran­t*in­nen ging um die Welt. Es wurde sogar für den Pulitzer-Preis nominiert. Darauf hatte sie die Hand zum Dreifingergruß erhoben, der zur Erkennungsgeste des politischen Widerstands wurde und ursprünglich aus der Jugendbuch- und Filmreihe „Hunger Games“ stammt.

Mit einer Hommage an Na Gyi und Paing Phyo Thu erinnert das Filmfest Oldenburg nun daran, dass das Militärregime in Myanmar noch immer willkürlich Menschen unterdrückt, verfolgt und tötet. Gezeigt werden zwei Langfilme, die die beiden gemeinsam gedreht haben, sowie drei Kurzfilme, die sie mit Hilfe der von ihnen gegründeten Organisation „The Artist Shelter“ aus einem Versteck im Dschungel des Nachbarlandes gedreht haben.

Ihr Film „What Happened to the Wolf?“ feierte 2021 in Oldenburg seine Weltpremiere. Damals gewann die zweite Hauptdarstellerin Eaindra Kyaw Zin den „Seymour Cassel Award“ als beste Schauspielerin des Festivals. Sie konnte jedoch nicht nach Oldenburg kommen, weil sie inhaftiert war. Auch Na Gyi und Paing Phyo Thu werden wohl nicht selbst zu ihrer Ehrung nach Deutschland kommen können. Ähnlich wie bei den iranischen Filmemacher*innen, die nicht zu Filmfestivals wie der Berlinale reisen dürfen und deren Abwesenheit dort dann oft durch einen leeren Stuhl symbolisiert wird, ist auch hier das Fehlen der Ehrengäste eine politische Botschaft.

Nach drei Jahren ist der zweite gemeinsame Spielfilm von Na Gyi und Paing Phyo Thu wieder in Oldenburg zu sehen. What Happened to the Wolf erzählt die ­Geschichte zweier Frauen, die beide todkrank sind. Nach und nach entwickelt sich in dem behutsam und langsam inszenierten Melodram erst eine Freundschaft, dann eine Liebesbeziehung zwischen den beiden. Von der wird aber so keusch erzählt, dass für ein Publikum, das weder die Codes der myanmarischen Erzählkultur noch die der globalen LGBTQ+-Gemeinde kennt, der einzige leidenschaftliche Kuss der beiden am Ende des Films eher unerwartet kommen dürfte.

Aber der queere Plot steht auch nicht im Mittelpunkt des Films, der viel deutlicher und eindrücklicher zeigt, wie die beiden Frauen mit der Tatsache umgehen, dass sie bald sterben werden. Dies ist psychologisch subtil erzählt und als ein Zweipersonenstück inszeniert, bei dem beide Dar­stel­le­r*in­nen glänzen können.

Die große Entdeckung der Hommage sind die drei Kurzfilme, die Na Gyi und Paing Phyo Thu an einem geheimen Aufenthaltsort gedreht haben

Interessant ist auch, wie hier extremer Reichtum zur Schau gestellt wird, denn eine der beiden Frauen gehört der Oberschicht an. Für das einheimische Publikum dürften die schönen Wohnungen, die Luxuslimousinen und der westliche Lebensstil einen großen Oberflächenreiz entfalten. Spannend sind auch die Verweise auf die westliche Popkultur: Kurt Cobain, Marilyn Monroe und (seltsamerweise) Jack London werden als früh Verstorbene gewürdigt, eine Tanzszene der beiden Frauen ist ein direktes ­Zitat aus Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“.

Auch „Mi“, der erste Film des Künstlers und seiner Muse, ist ein elegisches Melodram. Auch darin muss Paing Phyo Thu viel husten. Sie spielt eine junge Frau, die im damals noch Burma heißenden Myanmar der 1940er-Jahren an Tuberkulose erkrankt und stirbt. Der Roman der myanmarischen Autorin Kyi Aye aus dem Jahr 1955, auf dem der Film basiert, wurde ein Klassiker der dortigen Literatur. Na Gyi hat ihn extrem stilisiert in Schwarz-Weiß inszeniert, und sowohl das damalige Leben in der Stadt (mit Sekt und Tanz in schicken Nachtclubs) und auf dem Land (mit Elefanten auf einem einsamen Grenzposten) minimalistisch und sehr stimmungsvoll heraufbeschworen.

Aber die große Entdeckung der Filmfest-Hommage sind die drei Kurzfilme, die Na Gyi und Paing Phyo Thu an ihrem geheimen Aufenthaltsort gedreht haben. In denen erzählen sie drei Geschichten („based on true stories“) vom Leben unter der Militärdiktatur. Anders als bei seinen Arthouse-Langfilmen inszeniert Na Gyi hier naturalistisch, fast quasidokumentarisch. „Guilt“ ist eine 18 Minuten lange Parallelmontage und erzählt abwechselnd von der Flucht einer von Paing Phyo Thu gespielten jungen Frau nach dem Staatsstreich durch den Dschungel nach Thailand sowie von der Folter eines jungen politischen Aktivisten bei Verhören durch die Militärpolizei.

Der Protagonist von „My Lost Nation“ ist ein junger Arzt, der vor seiner Verhaftung in ein abgelegenes Dorf geflohen ist. Dort behandelt er einen Fußballprofi, der bei einem Überfall ein Bein verloren hat, und eine junge Frau, die nach dem Tod ihres Sohnes jeden Lebensmut verloren hat. Und in „Our Turn“ sucht ein junger Mann, der im Widerstand gekämpft hat und gefallen ist, seine Freundin in nächtlichen Albtraumvisionen heim. „Einen Film zu drehen, während man auf der Flucht ist, schien fast unmöglich“, sagt Na Gyi über seine Arbeit an „Guilt“. Selten sind Kunst und politischer Widerstand so deckungsgleich wie in diesen drei Arbeiten.

Heute bis So., 15. 9., Oldenburg, Casablanca Kino, Cine K, theater hof/19 und Staatstheater; filmfest-oldenburg.de

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