Der ganz normale Wahlsinn

Irgendwann bricht die Frage aus einer Zuschauerin heraus: Wie man denn angesichts der aktuellen Situation von einem normalen Wahlkampf sprechen könne? Da diskutieren auf dem taz Panter Forum schon eine halbe Stunde lang Vertreter demokratischer Parteien miteinander.

Sebastian Walter, Spitzenkandidat der Linken in Brandenburg, greift den Zwischenruf dankend auf und erinnert an den brutalen Angriff eine Woche zuvor im Potsdamer Stadtteil Golm. Ein Mann wurde krankenhausreif geschlagen, weil der zum Nazi-Hit „L’amour toujours“ den Kopf geschüttelt hatte. So wenig reicht mittlerweile.

Zwar ging es auf den vorherigen Podien des taz Panter Forums bereits um die Raumnahmen der Rechtsextremen und die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft. Doch Walter nimmt hier gern die Rolle des Mahners, des vernünftigen Demokraten an. Seine Linkspartei hat in Brandenburg gerade keine Regierungsverantwortung, im Gegensatz zu den Mitdiskutanten Ludwig Scheetz (SPD), Michael Schierack (CDU) und Clemens Rostock (Grüne) – und wegen des BSW auch geringe Chancen, überhaupt wieder in den Landtag einzuziehen.

Schnell ist die Runde beim Aufregerthema Nummer eins. Sind nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen, gerade einmal eine Woche her, Diskussionen über weitere Asylrechtsverschärfungen wirklich die richtige Antwort? Die taz-ModeratorInnen Dinah Riese und Konrad Litschko lassen den Parteien Zeit, einmal ihre Punkte zu Migration und Ampel abzuladen, aber dann geht es um die Themen dieses Forums: die gestiegene rassistische Gewalt, das Schweigen darüber, die fehlende langfristige Unterstützung der Zivilgesellschaft durch die Politik – und die Frage, wie stabil die Brandmauer ist.

Innerhalb der CDU gebe es diese, betont Michael Schierack. Allerdings: In Cottbus brachten 2023 CDU und AfD gemeinsam einen Antrag zur Flüchtlingsbegrenzung durch, im Kreis Barnim wird stark vermutet, dass ein AfD-Kandidat mit Stimmen der CDU zum stellvertretenden Kreistagsvorsitzenden gewählt wurde, und die CDUlerin Saskia Ludwig gab im Interview mit der Jungen Freiheit zu Protokoll, die Brandmauer sei „höchst undemokratisch“. Darauf ­Schierack: die Ansage von oben zur Brandmauer stehe, man müsse manchmal aber „pragmatische Lösungen“ finden.

Einig ist sich das Podium, dass rechte Straftäter schnellstmöglich strafverfolgt werden sollten, der Grüne Clemens Rostock findet gar das Beispiel Großbritannien inspirierend. Nach den rechtsextremen Ausschreitungen Ende Juli wurden dort in wenigen Wochen über hundert Urteile gesprochen, zum Teil mit mehrjährigen Haftstrafen. In Brandenburg hingegen wird 2020 ein Verfahren gegen zwei Nazi-Schläger eingestellt, weil die Tat mittlerweile fünf Jahre zurückliegt.

Die Ansage von oben zur Brandmauer stehe, man müsse manchmal aber „pragmatische Lösungen“ finden, sagt CDU-Kandidat Michael Schierack

Wie also muss es nach dem 22. September weitergehen? Auf dem Podium sitzen vier Demokraten, die Brandenburg gestalten wollen, die Ideen haben, aber nicht überzeugend darin wirken, dem Rechtsextremismus etwas entgegensetzen zu können. So zu tun, als sei dies ein normaler Wahlkampf, wirkt schlicht wie eine Überlebensstrategie.

Katrin Gottschalk, Cottbus