apokalypse der woche
: Der Welt läuft die Zeit davon

Am frühen Sonntagmorgen war es so weit: Die erste Ziffer der taz-CO2-Uhr sprang um. Sie zählt auf der Website der taz die abnehmenden Jahre, Monate, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden, bis das globale CO2-Budget ausgeschöpft ist. Waren bis zum Sonntag noch drei Jahre Zeit, die Welt auf 1,5-Grad-Kurs zu trimmen, so steht jetzt eine zwei am Anfang.

Ausgangspunkt der taz-CO2-Uhr ist das Pariser Weltklimaabkommen: 2015 hatten sich darin die Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention verpflichtet, „Anstrengungen“ zu unternehmen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen. Mittlerweile hat die Welt längst temporäre Ausflüge in Sphären jenseits dieser Marke gemacht: Die vergangenen zwölf Monate waren die heißesten, die jemals gemessen wurden, und lagen im weltweiten Durchschnitt bereits 1,64 Grad über dem Niveau zum Ende des 19. Jahrhunderts, wie der europäische Klimabeobachtungsdienst Copernicus am Freitag meldete.

Die taz-CO2-Uhr bezieht sich auf die ganze Welt. Würde man sie für Deutschland stellen, wäre sie längst abgelaufen. Davon geht zumindest der Sachverständigenrat für Umweltfragen aus: „Konkret hat Deutschland seinen fairen Anteil an einem globalen CO2-Budget, mit dem die 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden kann, seit Kurzem überschritten“, schrieben die Re­gie­rungs­be­ra­te­r*in­nen im März. Fair heißt in der Rechnung vor allem: wenn man jedem Bewohner der Erde dieselbe Menge CO2 zugesteht – also das globale Budget nicht einfach nur durch die fast 200 Länder der Welt teilt, sondern in Betracht zieht, wie viele Menschen dort jeweils leben. So gesehen haben die Vereinigten Staaten ihr rechnerisches CO2-Restbudget sogar schon Ende 2021 ausgeschöpft. Indien hingegen dürfte noch jahrzehntelang zumindest in einem gewissen Maße Treibhausgase produzieren.

Dieser „Budgetansatz“ ist in der Wissenschafts-Community beliebt, weil er die Erzählung etlicher Politiker entlarvt. CDU-Chef Friedrich Merz behauptete etwa, „wenn wir in den nächsten zehn Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg“.

Die CO2-Uhr der taz illustriert das Gegenteil. Wer sie aufmerksam verfolgt, wird aber vielleicht gemerkt haben: Tatsächlich ist die Uhr schon einmal unter drei Jahre gesprungen, nämlich im vergangenen Herbst – wurde also zwischenzeitlich zurückgestellt. Muss die Menschheit es mit dem Klimaschutz also immerhin nicht ganz so eilig haben wie noch 2023? Leider geht es nur um einen Rundungseffekt. Die Uhr wird regelmäßig neu gestellt und an die aktuellen Veröffentlichungen der Wissenschaft angepasst, unter anderem an die Indicators of Global Climate Change. Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen dort runden bei ihrer Berechnung des globalen CO2-Budgets immer auf die nächsten 50 Gigatonnen CO2. So kommt es, dass sich das Budget nach der Aktualisierung augenscheinlich nicht verändert hat, obwohl im vergangenen Jahr so viel emittiert wurde wie in keinem vorherigen Jahr.

Die vergangenen zwölf Monate waren die heißesten, die jemals gemessen wurden

Die taz-CO2-Uhr ist nicht die einzige, die die Dramatik der Lage illustriert. Beispielsweise tickt auch beim Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change eine Klima-Uhr (allerdings mit leicht anderer Datengrundlage). Und natürlich gibt es auch Kritik an dieser Form, das Problem darzustellen: Schließlich wird – Stand jetzt – in zwei Jahren, elf Monaten und wenigen Tagen nicht eine gigantische Flutwelle über das Land hereinstürzen, und alles Leben vernichten, wie beispielsweise in Roland Emmerichs Filmklassiker „The Day After Tomorrow“ aus dem Jahr 2004. Es wird schon irgendwie auch nach Ablauf der taz-CO2-Uhr weitergehen. Obwohl: Sollte man sich darauf wirklich verlassen? Nick Reimer