Bleiben nur Hüpfburgen?

Die Freiheit der Kunst verteidigen – das kann in der Praxis sehr anstrengend sein, zumal in Ostdeutschland. Die Festivalkuratoren Aljoscha Begrich und Christian Tschirner haben einen bemerkenswerten Erfahrungsbericht vorgelegt

Wird in Ostdeutschland die Kunstfreiheit eingerissen? Szene vom Festival Osten Foto: Falk Wenzel

Von Dirk Knipphals

Aljoscha Begrich und Christian Tschirner sind zwei Kuratoren, die in der freien Kunst- und Theaterszene gut vernetzt sind. Im Juni haben sie in Bitterfeld-Wolfen, der Mittelstadt in Sachsen-Anhalt, das Osten-Festival organisiert. Zwei Wochen voller Performances, Installationen, Diskussionen, die bewusst partizipativ in den ostdeutschen Kontext gestellt waren und sich mit ihm künstlerisch auseinandersetzten. Und soeben haben sie in aller Ausführlichkeit im Internetfeuilleton­ Nachtkritik.de über ihre Erfahrungen mit und um dieses Festival berichtet. Das ist ein Text, der alle Aufmerksamkeit verdient, prinzipiell und erst recht jetzt nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, denn er erzählt viel über die Rahmenbedingungen, mit denen man bei solchen Veranstaltungen inzwischen rechnen muss.

Da gibt es einen CDU-Bürgermeister, der im Vorfeld der Planungen dem Festival gegenüber zunächst sehr wohlwollend auftritt, nach einer Stichwahl um das Bürgermeisteramt, die er nur knapp vor dem Kandidaten der AfD gewinnt, aber unter politischen Druck gerät und vom Festival eine Entpolitisierung fordert. „Wir fragen, was außer vielleicht Hüpfburgen überhaupt noch möglich sein wird?“, schreiben Begrich und Tschirner. Der Bürgermeister antwortet, auch die Hüpfburgen seien ein Problem. Andere Stadtteilfeste haben auch Hüpfburgen und bekämen gar keine Förderung: „Der Neid sei schon da.“

Da gibt es den örtlichen Bundestagsabgeordneten der AfD, der das Festival skandalisiert und gegen ein gezeigtes Kunstwerk von Alevtyna Melnychuk vor Gericht zieht. In der Arbeit spielen mit Wasser gefüllte Attrappen von Molotowcocktails eine Rolle, was auf die zusammenbrechende Normalität nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verweist. Das Kunstwerk würde gegen das Waffengesetz verstoßen, sagt der Abgeordnete. Die entstehende Aufregung versucht er im Europawahlkampf für sich auszunutzen.

Und da sind die Anwohnerinnen und Besucher. Wegen des Molotow-Kunstwerks wird schon mal die Feuerwehr alarmiert. Und die Polizei wird wegen eines ausgestellten Fotos gerufen, das in faschismuskritischer Absicht ein in das Fell eines Kalbs rasiertes Hakenkreuz zeigt. Immerhin lässt die Polizei mit sich reden und nutzt die Gelegenheit, um authentische Hakenkreuz-Graffiti zu übermalen.

„Am meisten aber verunsichern uns“, schreiben Begrich und Tschirner, „Gespräche mit wohlmeinenden Besucher:innen.“ Sie seien dankbar, dass in ihrer Region so etwas stattfinde. „Aber nach etwa 5 Minuten benutzen sie Worte oder treffen Aussagen, die wir als so rassistisch empfinden, dass es uns die Sprache verschlägt. Das geschieht offensichtlich nicht in der Absicht zu provozieren – es scheint vollkommen normal.“

Begrich und Tschirner beschreiben das alles sehr sachlich. Zwischendurch ziehen sie ein nüchternes Fazit: „Die Rezeption autonomer Kunst setzt ein bürgerliches Kunstverständnis voraus. Und das, so stellen wir immer wieder fest, ist offenbar nicht oder nicht mehr vorauszusetzen.“

Tatsächlich schildern die beiden Kuratoren überaus anschaulich, auf wie konkrete und kleinteilige Auseinandersetzungen um Kunstbegriffe man sich einzustellen hat. Das ist ein Punkt, an dem man sich als linksliberaler Mensch gerne zurücklehnen und auf die historisch gewonnenen Schlachten um die Autonomie der Künste verweisen möchte. Gerichtsverfahren gegen den „Ulysses“ wegen Obszönität. Große Aufregung, als Günter Grass den Bremer Literaturpreis erhalten sollte, was der Bremer Senat wegen angeblicher Jugendgefährdung durch die „Blechtrommel“ cancelte.

Aber allzu gemütlich sollte man es sich mit solchen Verweisen auf die klassischen Fälle nicht machen. Denn auch in linksaktivistischen und identitär operierenden Postcolonial-Kontexten wird der autonome Kunstbegriff in Frage gestellt, teilweise auch attackiert. Und mit der in der Kunstförderung inzwischen erreichten engen Verzahnung von Kunstszene und Staat kauft die Kultur sich eben auch politische Logiken ein. Am brisantesten ist das derzeit bei der im Bundestag diskutierten Antisemitismusklausel. Das überaus berechtigte Anliegen, dass Antisemitismus staatlich nicht gefördert wird, könnte, bei typisch deutscher gründlicher Umsetzung, dazu führen, dass Anträge auf Förderung routinemäßig vom Verfassungsschutz überprüft werden, was man echt nicht wollen kann. Ein Dilemma. Flächen­deckend – derzeit vor allem in Ostdeutschland – bietet diese Verzahnung zudem Angriffspunkte für rechte und rechtsradikale Politiker, die bei Begriffen wie „partizipativ“ oder „emanzipativ“ nur Böses wittern.

Der bürgerliche Kunstbegriff, von dem Begrich und Tschirner schreiben, wurde historisch auch gegen den Staat und übrigens auch gegen die Kirche in heftigen Auseinandersetzungen durchgesetzt. Statt von der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Markt ist die Kunstszene aber längst von staatlichen Organen vielerorts abhängig. Das ist selbstverständlich kein Appell, auf Staatsknete zu verzichten, aber schon dafür, sich dieser Rahmenbedingungen vielleicht noch ein Stück weit bewusster zu werden, als es derzeit der Fall ist.

Die Autonomie der Kunst kann man kann nur prinzipiell verteidigen, nicht nur gegen die AfD. Gegen die gerade aber besonders

Was tun? Im Wahlprogramm der AfD in Sachsen-Anhalt steht der Satz: „Die AfD will mit Staats- und Steuergeld nur noch solche Kunst fördern, die ihrer eigenen deutschen Kultur grundsätzlich bejahend gegenübersteht.“ Jede Rückendeckung für künstlerische und zivilgesellschaftliche Initiativen, die gegen diesen überkommenen nationalen Kulturbegriff Sturm laufen!

Doch sollte man eben auch die zweite Bombe in diesem Satz sehen. Eine „grundsätzlich bejahende“ Kunst bleibt prinzipiell defizitär, auch über neurechte Kontexte hinaus, auch dann, wenn sie, wie es heute oft wohlmeinend heißt, „Sichtbarkeit“ für durchaus wünschenswerte humane Anliegen herstellen möchte; dann wird sie schnell kitschig. Kunst muss immer etwas Hinterfragendes, auch Selbstreflexives haben. Die Auseinandersetzungen um das Osten-Festival zeigen, dass dieser moderne Kunstbegriff unbedingt verteidigt werden muss. Was aber, kann man hinzufügen, nur geht, wenn man ihn prinzipiell verteidigt, nicht nur gegen die AfD, da allerdings, wie die Dinge liegen, derzeit besonders dringend.

Von diesem Kunstbegriff rücken Aljoscha Begrich und Christian Tschirner auch nicht ab. Sie haben aufgeschrieben, wie anstrengend es ist, diese Maxime in den gegenwärtigen Verhältnissen in die Praxis umzusetzen.