Angst vorm Absprung

Die Grünen glauben nicht mehr an ihren Wahlsieg. Aber die Koalition wollen sie „ordentlich zu Ende bringen“

BERLIN taz ■ Das Gerücht sei aus der SPD gestreut worden. Sagen die Grünen. Die Aufregung sei aber unbegründet. Niemand bei den Grünen habe die Absicht, die Koalition schon vor der Wahl aufzukündigen, versichert die Parteispitze. Versichern auch die Bundestags-Grünen. „Das haben wir nicht vor“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck zu einem möglichen Austritt der grünen Minister aus der Regierung.

„So etwas würde doch nur Sinn machen, wenn man sagen will: Nie wieder Rot-Grün!“, erklärte Beck, „aber das wollen wir nicht sagen.“ Schließlich geht das Leben auch nach der Bundestagswahl weiter, und zumindest auf Länderebene wollen die Grünen bald wieder mitregieren. Der aktuelle Frust dürfe deshalb nicht zu einem totalen Bruch mit der SPD führen, warnt Beck. „Man muss bei allen Emotionen überlegen: Was wäre die Botschaft eines solchen Vorgangs?“ Die Koalition jetzt schon zu beenden wäre das vorzeitige Eingeständnis einer Niederlage, gibt ein grüner Öffentlichkeitsarbeiter zu bedenken. „Und es wäre doch idiotisch, mit dem Eingeständnis einer Niederlage in den Wahlkampf zu ziehen. Das hilft nur Schwarz-Gelb.“

Dummerweise klingen aber viele Äußerungen von Grünen-Politikern in diesen Tagen genau danach: Nach Resignation – und zunehmender Unlust, zusammen mit der SPD unterzugehen. Der gestern ernannte Wahlkampfmanager der Grünen, Exparteichef Fritz Kuhn, müsste ein Genie sein, um noch eine optimistische rot-grüne Botschaft zu kreieren und durchzusetzen.

Zu glauben, Rot-Grün könne noch einmal eine deutliche Mehrheit bekommen, sei „Traumtänzerei“, sagt der Verkehrspolitiker Albert Schmidt. „Es ist zu befürchten, dass sich die Stimmung in so kurzer Zeit nicht ändert“, sagt die Finanzpolitikerin Christine Scheel. Und einige Grüne machen sich bereits munter Gedanken über neue Koalitionspartner, die nicht SPD heißen. „Ich will nicht, dass wir perspektivisch eine Partei sind, die an die Sozialdemokratie gekettet ist“, sagte der rechtspolitische Sprecher Jerzy Montag der taz. „Auch die Grünen müssen im demokratischen Spektrum alle Alternativen haben“, findet der frühere Landeschef in Bayern, zurzeit Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss. Als Beispiele für mögliche Partner aus der Union fallen ihm nicht nur Horst Seehofer oder Heiner Geißler ein. Auch die Merkel-Vertraute Hildegard Müller oder CDU-Fraktionsjustiziar Peter Altmaier, ja selbst Eckart von Klaeden, Montags CDU-Gegenspieler im Visa-Ausschuss, seien „Leute, mit denen man vielleicht eines Tages zusammenarbeiten kann“. Dies seien zwar nur „Gedanken für die Zukunft“, räumte Montag ein. Die SPD solle aber wissen, „dass wir auch anders können“.

Irgendwann. Vor dem schnellen Absprung schreckt auch Montag zurück: „Ich bin dagegen, die Koalition jetzt platzen zu lassen. Das müssen wir ordentlich zu Ende bringen.“ An den Grünen solle das nicht scheitern. „Nur wenn die SPD gegen unser Veto jetzt noch irgendwelche Dinge im Kabinett durchzieht – dann ist die Koalition beendet.“

LUKAS WALLRAFF