„Bleiben ist Widerstand“

Die sächsische Linke fürchtet die bröckelnde Brandmauer. In wenigen Tagen schon könnte die oppositionelle Verantwortung in den Händen des BSW liegen

Nie von oben herab: intensive Gespräche mit taz-Redakteur Jan Feddersen

Von Jan Feddersen

Schiere Angst schien ihre Äußerungen auf diesem Podium zu begleiten. Sachsens Spitzenkandidatin der Linkspartei, Susanne Schaper, formuliert auf dem ­letzten Debattier­panel vor der Panter-Preis-Verleihung auf dem zweiten taz Panter Forum im Chemnitzer Weltecho ebendiese Angst. Der Titel: „Unregierbares Sachsen?“ Ihre Partei, einst die stärkste und selbstbewussteste Oppositionspartei im seit 1990 CDU-dominierenden Freistaat, droht ausweislich aller demoskopischen Prognosedaten, unter die Fünfprozenthürde zu fallen – das Zeichen, dass eine Partei im allgemeinen politischen Geschehen kaum Gewicht hat. Aber Schaper spricht sehr laut und dringlich: Wären sie und die Ihren nicht mehr in Dresdens Landtag, gäbe es eine Repräsenta­tions­lücke, eine starke.

Das sieht die sächsische Wählerschaft aktuell offenbar anders: Die CDU liegt knapp hinter der AfD. Vielleicht schaffen es die Grünen und die SPD, genug Stimmen fürs Parlament zu bekommen – gewiss aber wird das Bündnis Sahra Wagenknecht der big player des Wahlabends sein. Diesem wird zugetraut, eventuell sogar koalitionsnötig für die Union zu sein, um die AfD von der Regierungsteilhabe fernzuhalten und die „Brandmauer“ gegen die Völkischen zu halten.

Die Themen Brandmauer und die Rechten – viele im Pu­bli­kum sprachen von „den Nazis“ – standen im Mittelpunkt des taz Panter Forums „Was auf dem Spiel steht“. Jedenfalls – die Beiträge und Statements der eingeladenen Menschen aus den NGOs, kommunalen Projektträgern und Parteien unterfütterten dies intensiv – ist von einer Brandmauer auf den Ebenen unterhalb des Landtags keine Rede mehr. Dort wählen FDP-Abgeordnete – und sie nicht allein – AfD-Mandatsträger und solche ähnlicher, teils noch rabiaterer Listen zu stellvertretenden Bürgermeistern. Da wird fleißig gekungelt und gedealt, wie es eben auf den unteren Etagen des politischen Gefüges üblich ist. So auch der Bericht vom Aktivista Ocean Hale Meißner aus Döbeln. Frauke Wetzel, in Chemnitz eine der Köpfe der Vernetzung von Initiativen und Trägern für eine Stadt, die auf antivölkische ­Diversität hält, greift ein in der nichtrechten Szene geflügeltes Wort auf, um die momentane Haltung zur rechten Machtteilhabe zu skizzieren: „Bleiben ist Widerstand.“

„Schaper formuliert auf dem letzten Debattierpanel vor der Verleihung ebendiese Angst“

Verblüffend am Chor all der Stimmen, die in Chemnitz am Samstag zur Geltung gebracht wurden, war indes, dass von dystopischer, weltuntergangsmäßiger Atmosphäre keine Rede war. Auch – bei aller politischen Differenz in vielen landespolitischen Bereichen – trug dazu bei, dass Susan Leithoff, CDU-Abgeordnete im Landtag und aus der Nähe von Chemnitz, kaum betonen musste, dass ihre Partei nach den Wahlen auf gar keinen Fall mit der AfD koalieren werde. Was der neben ihr sitzende Jörg Scheibe vom BSW ebenfalls unterstrich: Seine Fraktion werde weder mit der AfD koalieren noch einen von ihr aufgestellten Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten mitwählen. Das Publikum zollte ihm allerdings kaum Beifall für diese die Brandmauer stützende Aussage. Vielmehr erntete er Kritik, weil er von der Wichtigkeit sprach, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben, überhaupt die Migration per Flucht strikt begrenzt sehen möchte – aber legale Einwanderung, aus welchen Weltregionen auch immer, sehr klar befürwortete.

Von links nach rechts: Özcan Karadeniz, Michael Nattke, Claudia Jahn, Wolf-Stefan Schmidtke, Anne Fromm

Das mehrheitlich junge Pu­bli­kum spendete auch am schon sehr gut besuchten Forumsmorgen besonders Michael Nattke vom Sächsischen Kulturforum Beifall. Dieser hatte die umfänglichen „Dialoge“ und Gesprächskreise benannt, die eigens eingerichtet wurden, nachdem die auch schon mindestens sehr zwielichtigen Pegida-Demos vor zehn Jahren Krawall stifteten. Und wo, fragte er, waren die Gesten des Dialogs, des Willkommens im demokratischen Gefüge jenen Initiativen gegenüber, die unter den militanten Gangs der Baseballschlägerjahre schon litten und etwa auf CSDs immer noch um Leib und Leben zu fürchten haben? Claudia Jahn-Wolf, Unternehmerin aus Sachsen und extrem rührig in aller Welt– wie viele andere sächsischen Unternehmen auch –, um die so heftig benötigten Fachkräfte anzuwerben: Sie versuchte auch Mut zu machen, der politischen Atmosphäre gegen das tonangebende Establishment in Berlin zu widerstehen.

Tobias Burdukat, seit 20 Jahren Kämpfer – weitgehend in Grimma in der von ihm mitbegründeten Spitzenfabrik, ein autonomes Haus am Rande der Altstadt –, sagte: „Der Kampf gegen rechts zermürbt, macht dich fertig, jeden Tag. Es hört nie auf.“ Ein paar Tage in der Woche fährt er zum Studium nach Nürnberg, kommt aber immer wieder zurück: „Ich brauch auch mal Abstand. Aber gegen rechts einzustehen, da haben wir keine Wahl.“