Spreewater reitet Verdrängungswelle

Ein Berliner Immobilienunternehmen kauft ein Mietshaus in Wedding. Prompt folgen Kündigungen und Mietpreiserhöhungen. Die Bewohner stellen sich auf unruhige Zeiten ein

Der Vermieter forderte Mieterin Jacky K. Mitte August auf, ihr WG-Zimmer zu räumen Foto: Steve Braun

Von Christoph Mayer

„Alles bleibt besser“, verkündete die Spreewater GmbH, als sie sich den Bewohnern der Groninger Straße 3 und 5 im April dieses Jahres als neue Eigentümerin des Wohnhauses vorstellte. Doch die Mieterinnen und Mieter machen schnell eine ganz andere Erfahrung: Nichts bleibt, wie es war, und besser wird schon gar nichts – so lässt sich die vorherrschende Stimmung in dem Mietshaus unweit des Leopoldplatzes einfangen.

Einige Bewohner erhielten bereits Kündigungsschreiben, andere wurden mit hohen Mietpreissteigerungen konfrontiert. Ein Vertreter der Spreewater GmbH informiert die Mieter aktuell in Hausgesprächen über geplante Modernisierungsmaßnahmen, deren Kosten auf die Mieten umgelegt werden sollen.

In der Groninger Straße 3 und 5 zeigt sich, wie Aufwertung und Verdrängung auf dem Berliner Immobilienmarkt Hand in Hand gehen. Besonders bemerkenswert ist das hohe Tempo, mit dem die 2020 gegründete Spreewater GmbH das Gründerzeithaus in Wedding an die modernen Mietgegebenheiten in der Hauptstadt anpasst.

Das bekommt auch Jacky K. zu spüren, die seit zwei Jahren in einer der 22 Wohnungen des Hauses zur Untermiete wohnt. Wie lange sie noch bleiben kann, ist ungewiss. Mitte August sollte sie laut Aufforderung des Vermieters das Zimmer in ihrer WG räumen, erzählt sie. Vor ihr mussten bereits andere Mieter Kündigungen für Lagerräume und ein Atelier einstecken.

Doch Jacky K. ist in ihrer Wohnung geblieben, nachdem das Ultimatum endete. Die 49-Jährige sitzt auf einer Bierbank im Innenhof des Doppelhauses. Leere Flaschen zeugen noch von einem gemeinsamen Grillabend der Hausgemeinschaft am Vorabend. Es gibt derzeit viel Gesprächsstoff im Haus.

Ende Juli erhielt ihr Mitbewohner ein Schreiben von der neuen Eigentümerin. Darin fordert die Spreewater GmbH die Beendigung des „Untermietverhältnisses mit Frau K.“, für das es keine Genehmigung gebe. Das Unternehmen sei „nicht bereit, dieses vertragswidrige Verhalten zu akzeptieren“, heißt es in dem Brief, der der taz vorliegt.

Spreewater stellte dem Mitbewohner eine fristlose Kündigung in Aussicht, sollte er „die Nutzung der Mietsache durch Frau K.“ nicht bis zum 15. August beenden. Auf eine Anfrage der taz zur Rechtmäßigkeit der Abmahnung antwortete das Unternehmen: „Verstöße gegen vertragliche Pflichten werden im Rahmen der ordentlichen Verwaltung nicht geduldet“.

Jacky K. ist zuversichtlich, dass die Drohungen der Spreewater GmbH ins Leere laufen. Dafür spricht eine Genehmigung des Untermietverhältnisses, die noch von der alten Hausverwaltung ausgestellt wurde. Dennoch ist die Situation für sie unangenehm, wie sie sagt. Die gebürtige Ost-Berlinerin, die aktuell arbeitsunfähig ist, arbeitete eigentlich als Stewardess auf Yachten. Bis September 2020 verbrachte sie die meiste Zeit auf dem Meer, doch ein Handgelenkbruch zwang sie, ihren Beruf aufzugeben. Seitdem ist sie an Berlin gebunden – und an diese Wohnung, wie sie betont.

Das Drohschreiben ist aus ihrer Sicht reine Schikane. Spreewater wisse genau, dass sie legal in der Groninger Straße wohne. Ihrer Meinung nach wird Druck gemacht, weil die aktuellen Bewohner einer Verwertung der Immobilie im Weg stehen. Doch die Hausgemeinschaft will die Verwertungsabsichten der neuen Eigentümerin nicht einfach so über sich ergehen lassen.

Die Renditeerwartungen der Spreewater „Immobilienboutique“ werden auf der Webseite offen kommuniziert. In „aufstrebenden Lagen wie dem Wedding bieten sich momentan zahlreiche Opportunitäten“, heißt es im entsprechenden Portfolio zur Groninger Straße 3 und 5. Man sei überzeugt, dass die Mieten im Leopoldkiez weiter steigen werden. Um das Potenzial des Weddinger Gründerzeithauses voll auszuschöpfen, wolle Spreewater umfassende energetische Modernisierungen und eine Aufstockung des Dachgeschosses realisieren.

Eine Protokollnotiz einer Bewohnerin des Hauses liefert Einblicke, wie umfangreich die Erneuerung des Altbauduetts ausfallen könnte: Demnach plant der Investor den Austausch der Fenster, den Einbau einer neuen Heizung, die Neuverlegung der Heizungsrohre („aka alle Wände öffnen“) sowie die Dämmung der Außenfassade. Die Mieter sollen während der umfangreichen Sanierungsarbeiten in ihren Wohnungen bleiben können, und auch danach, so lautet die Zusicherung der Eigentümerin. Doch für die Mieter stellt sich derzeit die Frage, ob sie die erhöhten Mietpreise nach der Sanierung überhaupt zahlen können.

Spreewater antwortete auf taz-Anfrage, man sei bestrebt, „auf die individuelle wirtschaftliche Situation der Mieter einzugehen und sozialverträgliche Konzepte zu erarbeiten“. Diese wolle man in etwaige Mietanpassungen einfließen lassen. Daran haben manche Mieter Zweifel. Auch Raiko, der seit etwas mehr als zwei Jahren in der Groninger Straße 3 lebt, im Kunst- und Kulturbereich arbeitet und ebenfalls nicht mit vollem Namen in der zeitung stehen will. Er und andere im Haus hätten nicht grundsätzlich etwas gegen Instandsetzungen und Sanierungen – „allerdings nur mit fairen Mitteln und im Rahmen der Notwendigkeit“.

Um die Mieter von der Notwendigkeit zu überzeugen, hat Spreewater einen Abgesandten in die Groninger Straße geschickt, der dort seit Wochen Hausbesuche durchführt. Tomek Piotrowski präsentiert sich auf seiner Webseite als „Machertyp mit Gewinner-Mindset.“ Sein Instagram-Account ist reich an Vorträgen, Selfies und Lebensweisheiten. „Sei beeindruckt von Großzügigkeit, Integrität, Bescheidenheit und Freundlichkeit“, lautet eine Weisheit, die Piotrowski auf seinem Account teilt. Zudem verspricht er, „30 bis 40 Prozent mehr Rendite“ durch „transparente Mietergespräche“ zu erzielen.

„Die Spreewater GmbH hat sich bei uns im Haus vertan. Das merken sie gerade“

Jacky K., Mieterin

Piotrowski führt derartige Mietergespräche im Auftrag von Immobilieneigentümern wie der Spreewater GmbH. Bei einem seiner zahlreichen Hausbesuche in der Groninger Straße brachte er überraschend Bier mit und setzte sich zu den Bewohnern, die sich gerade im Innenhof aufhielten, berichtet Jacky K.. An anderen Tagen lauere er den Mietern stundenlang auf, um sie beim Betreten oder Verlassen des Hauses im Treppenhaus abzufangen.

Einige Bewohner berichten von Einschüchterungsversuchen und unangemessenen privaten Fragen. Als Jacky K. Piotrowski den Zutritt zu ihrer Wohnung verweigerte, soll dieser gerufen haben: „Dafür werden Sie bezahlen müssen.“ Ein Mieter fühlte sich sogar genötigt, die Polizei zu rufen, weil er aufdringlich geworden sei. Andere Bewohner hingegen geben an, mit den Gesprächen zufrieden gewesen zu sein. Ihnen gegenüber sei Piotrowski freundlich aufgetreten.

Max, der sich bei „Mietenwahnsinn Nord“ der Stadtteilorganisierung „Hände weg vom Wedding“ engagiert, nimmt an den Hausgesprächen in der Groninger Straße 3 und 5 teil. Die mietenpolitische Gruppe unterstützt Hausgemeinschaften in Wedding und Moabit, die von Verdrängung betroffen sind. Von seiner Begegnung mit Piotrowski berichtet Max, dieser wolle demnächst Formulare bei den Mietern vorbeibringen, in denen diese sich mit einer 15-prozentigen Mietpreiserhöhung einverstanden erklären sollen. Andernfalls, so habe der Dienstleister von Spreewater klargemacht, gehe es vor Gericht. „Wir empfehlen den Mieterinnen und Mietern, die Formulare nicht an der Haustür zu unterschreiben“, sagt Max. Stattdessen sollten sie das Schreiben sorgfältig prüfen und sich gegebenenfalls dagegen wehren.

Raiko schätzt die Unterstützung, die die Hausgemeinschaft von Mietenwahnsinn Nord erhalte. Es gebe ihm das Gefühl, in seinem Abwehrkampf nicht allein dazustehen, erklärt der 35-Jährige. Der Bezirk Mitte habe die Mie­te­r*in­nen hingegen im Stich gelassen, als es darauf ankam, sie vor der Investorenübernahme zu schützen. Bezirke können in Milieuschutzgebieten unter bestimmten Bedingungen anstelle eines privaten Investors in den Kauf eines Mietshauses eintreten. Doch im Fall der Weddinger Altbauimmobilie sah das Bezirksamt die Grundlage dafür nicht gegeben und verzichtete auf die Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts.

Die Rolle des Bezirksamtes beim Verkauf der Groninger Straße 3 und 5 wirft auch bei der Bezirksverordneten der Linken, Martha Kleedörfer, Fragen auf. Zwar sei das Vorkaufsrecht durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 eingeschränkt worden. Dennoch gebe es Möglichkeiten, es anzuwenden – etwa wenn ein Gebäude erhebliche Mängel aufweist. „Im Fall der Groninger Straße wurde das Haus jedoch nicht ordnungsgemäß auf Mängel geprüft, die Wohnungen wurden gar nicht besichtigt,“ bemängelt Kleedörfer. Der gesamte Verkauf erscheine ihr fragwürdig.

In dem Mietshaus in Wedding zeigt sich, wie Aufwertung und Verdrängung zusammenwirken Foto: Fo­to:­ S­te­ve Braun

Ein Sprecher des Bezirksamtes Mitte erklärte auf taz-Anfrage, das Gebäude sei „sowohl von außen, als auch von innen (Treppenhaus) bewertet worden“. Das Recht zum Betreten der Wohnungen obliege jedoch der Ordnungsbehörde, der keine Mängelmeldungen vorgelegen hätten.

Wie die Bewohner findet auch Kleedörfer, dass das Bezirksamt seinen behördlichen Auftrag im Fall der Groninger Straße 3 und 5 nicht erfüllt hat: „In einem Mietenwahnsinn, wie er seit Jahren in Berlin herrscht, ist es die Aufgabe von Senat und Bezirk, die Mie­te­r*in­nen zu schützen.“ Ihrer Meinung nach hätte das Bezirksamt durch eine intensivere Prüfung und rechtzeitige Intervention einen entscheidenden Beitrag leisten können, um die aktuelle Situation zu verhindern oder zumindest abzumildern.

Künftig wird der Bezirk nur noch begrenzt Einfluss auf die Mietverhältnisse haben – hauptsächlich, um Luxus-Aufwertungen wie bodentiefe Fenster, Fußbodenheizungen oder Marmor im Treppenhaus zu verhindern. Das soziale Erhaltungsrecht, das in Milieuschutzgebieten gilt, regelt es so. Der Einbau eines Aufzugs, einer Zentralheizung oder von Fassadendämmung liegt hingegen nicht im Ermessen der Behörden. Die Kosten für solche Neuerungen können Eigentümer scheibchenweise auf die Mieter umlegen.

Die müssen – mit Unterstützung einer engagierten Nachbarschaft – selbst Verantwortung übernehmen. Jacky K. glaubt, dass die kritische Haltung der Hausgemeinschaft bei Spreewater bereits Wirkung hinterlassen hat: „Die haben sich bei uns im Haus vertan. Das merken sie gerade.“