das wird: „Manche mag allein der Filmtitel abschrecken“
Exklusiv in Osnabrück zu sehen: „Nataschas Tanz“, der erste Spielfilm von Jos Stelling seit zehn Jahren
Interview Harff-Peter Schönherr
taz: Was macht den Reiz von Jos Stellings Filmen aus, Herr Westendorf?
Reinhard Westendorf: Sie verzichten weitgehend auf verbale Sprache. Stellings Filme sind nicht stumm, es wird in ihnen auch gesprochen, aber viel vermittelt sich sehr visuell.
taz: „Dialoge gehen direkt ins Gehirn“, sagt Stelling dazu „und erschweren so das Sehen“. Können Sie das nachvollziehen?
Westendorf: Definitiv. Bei dialoglastigen Filmen, die immer nur Großaufnahmen zeigen, in denen endlos viel geredet wird, schalten viele innerlich schnell ab, auch weil bildlich oft nicht viel passiert. Auch extrem viel Voiceover kann nerven, weil man sich dann nicht so gut auf die Bilder einlassen kann.
taz: Die Lagerhalle zeigt mit „Nataschas Tanz“ nicht zum ersten Mal ein Werk des Niederländers. Wer kommt da hin?
Westendorf: Immer weniger Leute, leider. Wir haben auch „Der Illusionist“ von ihm gezeigt, „Der Weichensteller“ und „No Trains, No Planes“, aber ich glaube nicht, dass viele mit seinem Namen etwas anfangen können.
taz: Zieht er denn Afficionados an?
Westendorf: Ich erwarte bei uns niemanden, der vorher anderes von Stelling gesehen hat. Er hatte ja vor „Nataschas Tanz“ schon zehn Jahre keinen Kinofilm mehr gedreht!
taz: Stelling liebt skurrile Gegenwelten. Auch in „Nataschas Tanz“ geht es um Außenseiter. Was erzählt der Film?
Reinhard WestendorfJahrgang 1961, Filmvorführer, Amateurfilmer, leitet das Kino in der Lagerhalle seit 1991.
Westendorf: Außenseiter sind für das Kino immer attraktiv. Hier sind es die einstige Ballerina Natascha und der Obdachlose Daantje. Bei Stelling erleben die Figuren oft keine Entwicklung. Was wir sehen, lebt von den Figuren, den Situationen.
taz: … in nostalgischem Schwarzweiß?
Westendorf: Stelling hat ja früh mit einer Schmalfilmkamera angefangen, ist mit Filmgeschichte aufgewachsen. Das spürt man.
taz: Auf Stellings Website steht, Russland sei eines der Länder, in denen er sich „als Mensch, vor allem aber als Filmemacher“ zu Hause fühle …
Westendorf: Genau, Stelling war öfter Jurymitglied russischer Filmfestivals; er hat eine starke Beziehung zu Russland. Wie es damit aktuell bestellt ist, weiß ich allerdings nicht.
taz: Auch ist die Originalfassung teilweise auf Russisch. Muss das nicht zu Kritik führen?
Westendorf: Ich kann mir vorstellen, dass es Leute gibt, die so denken. Manche mag allein der Filmtitel schon abschrecken. Ich fände das schade. Man kann ja nicht die ganze russische Kulturgeschichte verdammen, nur weil Putin jetzt Scheiße baut. Ich hätte auch kein Problem damit, einen russischen Film zu zeigen. Aber da kommt derzeit nichts.
Filmvorführung „Nataschas Tanz“ (OmU) von Jos Stelling: 3. und 4. 9., jeweils 18 und 20.15 Uhr, Kino in der Lagerhalle, Osnabrück
taz: Stelling betont seinen Katholizismus, wenn es um seine Kunst geht. Was sagt das über seine Filme?
Westendorf: Zwischen Kirche und Kino gibt es ja durchaus Berührungspunkte. Stelling lässt Bilder sprechen. Und auch die katholische Kirche ist sehr bildgewaltig, sowohl in der Bibel als auch in den Bauten. Ich freue mich immer über Filme, die versuchen, Botschaften visuell zu transportieren. Da gibt es in den letzten Jahren einen Niedergang im Kino. Viele Filme werden schnell gestreamt und sind nicht mehr für die große Leinwand konzipiert. Die Leute verlangen das auch gar nicht mehr, weil ihnen ihr Monsterfernseher zuhause reicht. Schrecklich. Das tötet jede Kinomagie.
taz: Was sagen Sie jemandem, der noch nie von Jos Stelling gehört hat, über „Nataschas Tanz“?
Westendorf: Der Regisseur hat schon viele gute Sachen gemacht, und „Nataschas Tanz“ ist außergewöhnlich! Außerdem wird er in nächster Zeit wahrscheinlich nirgendwo anders gezeigt.
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