„Kleine Festivals bauen sich alles selber zusammen“

Das Bremer Metal-Festival „Hellseatic“ setzt statt auf bekannte Headliner auf Geheimtipps und mysteriöse Seltenspieler. Die Veranstalter gehen dafür finanziell voll ins Risiko

Interview: Benjamin Moldenhauer

taz: Dave und Andrea, was hat Sie bewogen, das Hellseatic dieses Jahr doch stattfinden zu lassen, obwohl zu wenig Karten im Vorverkauf weggegangen sind?

Dave: Wir hoffen, dass es ähnlich wie bei vielen Clubkonzerten läuft. Mittlerweile kaufen die Leute in den letzten Wochen vor dem Konzert mit Abstand die meisten Karten. Und das große positive Feedback nach unserem SOS-Ruf hat uns Mut gemacht.

Andrea: Nicht zu vergessen unsere Begeisterung und Leidenschaft für das Projekt.

Dave: Ja, es geht um mehr als nur um Wirtschaftlichkeit. Es ist ein Herzensprojekt, das wir auch über ein finanzielles Risiko hinweg tragen wollen.

Festival „Hellseatic –A Heavy Music Odyssey“, Schlachthof Bremen, Freitag, 6. 9. ab 16 Uhr und Samstag, 7. 9. ab 14 Uhr

taz: Woran liegt es, dass viele kleinere Festivals Probleme haben, während die großen boomen?

Dave: Ich denke, dass sehr viele Leute gerade schlicht weniger Geld zur Verfügung haben. Da grast man dann lieber erst einmal Festivals ab, die große Namen im Programm haben, anstatt zu einem kleinen Festival zu gehen. Die Inflation hat da viel verbrannt. Und wahrscheinlich führen so generelle Ängste und Krisenempfindungen, die zurzeit umgehen, dazu, dass eine angespannte finanzielle Lage als noch dramatischer empfunden wird. Ich sehe und spüre das bei mir selbst auch.

Andrea: Große Festivals haben ganz andere Finanzierungsmöglichkeiten und vor allem ein größeres Werbebudget.

Dave: Immer mehr Festivals werden Teil eines Konsortiums. Das Wacken ist mittlerweile Teil einer amerikanischen Investmentfirma, bei der es hinten raus nur noch auf die Zahlen ankommt. Der größte Akteur, Live Nation, kontrolliert quasi den gesamten Markt. Kleine Festivals bauen sich dagegen alles selber zusammen. Da gibt es selten verbandelte Booking-Agenturen mit großen Acts oder Technikfirmen die Vitamin-B-Preise machen, weil man einen gemeinsamen Shareholder hat oder so etwas.

taz: Bei den ersten zwei Hellseatic-Festivals waren mit Motorpsycho und Mantar noch klassische Headliner im Programm. Auf die haben Sie dieses Jahr verzichtet. Wieso?

„Menschen, die lautes Geballer hören, sind oft ausgesprochen tolerante, offene, herzliche und soziale Wesen“

Andrea Rösler, Kulturmanagerin

Dave: Bei der jetzigen Veranstaltungsgröße können wir uns solche Bands schlicht nicht mehr leisten. Wir finden dieses Konzept von Geheimtipps, mysteriösen Seltenspielern und Newcomern aber auch sehr reizvoll. Anstatt einen klassischen Headliner an die Spitze zu stellen, den dann unbedingt alle sehen wollen. Wir sind der Überzeugung, dass das genauso gut funktionieren kann wie mit einem großen Headliner. Das Feedback aus der Community ist jedenfalls sehr gut. Viele Menschen wissen das zu schätzen.

taz: „Metal“ ist als Genrebezeichnung zu eng für die Musik auf dem Hellseatic. Wie würden Sie die beschreiben?

Andrea: Unser Schwerpunkt liegt auf düsterer, atmosphärischer und experimenteller Musik, die eine gewisse Härte aufweist. Wir haben großen Spaß an der ganzen Bandbreite der „heavy music“. Von dem Begriff „Metal“ wollen wir schon länger wegkommen.

Foto: privat

Dave aka David Kuhlmann35, Eventmanager, ist als Gesellschafter der Hellseatic UG zuständig fürs Booking.

Dave: Es geht schon um Metal-Elemente und Genres. Wir haben Bands, die Stoner, Black Metal, Hardcore, Postrock oder Doom spielen. Das Publikum ist entsprechend vielfältig. Da triffst du Crustpunker, die sich Monkey3 angucken, und Indiefans, die sich Predatory Void geben. Das zeigt, das diese Mischung funktioniert. Wir sind froh, dass wir das mit dem Slogan „A heavy music odyssey“ kurz und knackig beschrieben bekommen haben.

taz: Was ist Ihnen am Genre Metal so wichtig, dass Sie da dermaßen viel unbezahlte Arbeitszeit reinstecken?

Dave: Das Hellseatic ist für uns mehr als nur ein Festival. Die Szene, also zumindest unser Dunstkreis, besteht aus sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, die die Musik, die sie leben, auch als Ausdruck von gemeinsamen Werten begreifen. Musik ist das verbindende Element für eine Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Lebensweisen.

Foto: privat

Andrea Rösler 39, Kulturmanagerin, ist als Gesellschafterin der Hellseatic UG zuständig für Kommunikation und Tickets.

Andrea: Meine Entscheidung, 2019 diese Unternehmung mit zu starten, hatte weniger mit der Leidenschaft für harte Musik zu tun. Die war damals noch gar nicht so ausgeprägt wie heute. Die hatte mehr mit den Erfahrungen zu tun, die ich mit der Metal-Community gemacht habe.

taz: Nämlich welchen?

Andrea: Dass Menschen, die lautes Geballer hören, oft ausgesprochen tolerante, offene, herzliche und soziale Wesen sind. Die Szene ist geprägt von Menschen, denen es um mehr geht als um Konsum. Und das spüren wir gerade dieses Jahr wieder sehr. Der Support, den wir von unseren Gästen, der Crew und den Bands bekommen, ist der Hauptgrund, weshalb wir das Festival nicht abgesagt haben.