die erklärung
: Was die Faschisten anrichten könnten

In Sachsen und Thüringen droht die AfD stärkste Kraft zu werden. Welche Folgen hätte das für die Machttektonik in den Bundesländern? Und was, wenn die AfD gar eine Sperrminorität erreicht?

Ein Nazi aus Lünen in Nordrhein-Westfalen beim AfD-Sommerfest im thürin­gischen Sömmerda Foto: Fo­to: Fritz Engel

Von Gareth Joswig

Björn Höcke kennt sich mit der Landesverfassung Thüringens bestens aus. Er weiß, dass die für ihn unwahrscheinliche Ministerpräsidentenwahl, nicht der einzige Weg zu mehr Macht ist. Davon zeugt diese eigenartig spezifische Vorgabe für seine AfD: „Wir werden mit 33 plus x über die Ziellinie laufen, das muss unser Ziel sein!“

Diese 33 Prozent wären eine kritische Größe. Mit 33 Prozent und mehr wären der rechtsextremen Partei Sperrminoritäten im Landtag sicher. Auch in Sachsen, aber in Thüringen ist die Situation besonders dramatisch. Eine AfD mit 33 Prozent könnte wichtige verfassungsrechtliche Verfahren blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit benötigen.

Gefahr für den Rechtsstaat

Gerade die Sperrminorität bietet zahlreiche Möglichkeiten, um demokratische Prozesse zu sabotieren. Damit könnten die Rechts­ex­tre­men etwa Verfassungsänderungen blockieren sowie die Wahl von Rich­te­r*in­nen für das Landesverfassungsgericht.

In der nächsten Legislatur läuft die siebenjährige Amtszeit aller Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen in Thüringen aus. 33 Prozent plus x hätten hier also erhebliches Erpressungspotenzial: Die AfD könnte die Neubesetzung blockieren oder eigene Kan­di­da­t*in­nen hineinpressen, die versuchen könnten, das Gericht von innen heraus mit destruktivem Verhalten zu sprengen oder zu sabotieren. Laut Verfassung werden auch Rich­te­r*in­nen auf Lebenszeit von einem Richterwahlausschuss mit Zweidrittelmehrheit gewählt.

Gefahr für den Verfassungsschutz

Gleiches gilt für die Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission im Landtag. Dieses Gremium soll den Landesverfassungsschutz überwachen. Wohlgemerkt den Verfassungsschutz, der die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextrem einstuft und den die Partei abschaffen will. Ebenso braucht es zur Auflösung des Landtags eine Zweidrittelmehrheit.

Leider reichen für eine Sperr­minorität sowohl in Sachsen als auch in Thüringen möglicherweise bereits um die 30 Prozent der Stimmen. Der Grund dafür: Wenn viele kleinere Parteien an der Fünf­prozenthürde scheitern, bleiben die Stimmen für diese bei der Verteilung der Landtagssitze unberücksichtigt. Die Folge: Die Anzahl der Sitze der AfD steigt. Entsprechend gab es Aufrufe zum taktischen Wählen der ­Grünen, der SPD und der Linken, damit diese nicht aus dem Landesparlament fliegen.

Ein weiteres Risiko sind die komplizierten Mehrheitsverhältnisse in Thüringen: Vor allem der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Torben Braga, der in Thüringen Politikwissenschaft und Öffentliches Recht studierte, ist durchaus versiert darin, Taktiken, Taschenspielertricks und Schlupflöcher aufzutun, um politische Blockaden zu inszenieren und Sand ins Getriebe der demokratischen Prozesse zu streuen. Er ist einer der Strippenzieher der Kemmerich-Wahl 2020 und der damit ausgelösten Verfassungskrise. Damals hatte die AfD in einem dritten Wahlgang zur Ministerpräsidentenwahl einen eigenen Kandidaten ins Leere laufen lassen und überraschend den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Regierungschef gewählt. Der hatte überrumpelt die Wahl angenommen und war überfordert kurz darauf wieder zurückgetreten.

Gefahr für die Demokratie

Die anschließende Freude von AfDlern­ angesichts der durch die Wahl ausgelösten politischen Krise zeigt deutlich das instrumentelle Verhältnis der AfD zum Parlamentarismus: Die Wahl eines Verfassungsorgans – hier die Wahl eines Ministerpräsidenten – ist im Zweifel eine willkommene Gelegenheit, um gegen das verhasste demokratische System zu punkten und es so – mit demokratischen Mitteln – von innen heraus zu bekämpfen.

Enormes Missbrauchspotenzial birgt auch die vor allem in Thüringen wahrscheinliche Situation, dass die AfD stärkste Kraft wird. Denn die größte Fraktion stellt in der Regel die Landtagspräsident*in. Die Abgeordneten sind frei, ihre Stimme einem AfD-Kandidaten zu verweigern, aber allein der Wahlvorgang und ein Bruch mit bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten, um zu verhindern, dass ein Rechtsextremist Parlamentspräsident wird, bietet Stoff für die autoritär-populistische Erzählung der AfD.

Gefahr für die Verwaltung

Ein AfD-Parlamentspräsident wäre gleichwohl deutlich schlimmer: Er hätte die personelle Hoheit über die Landtagsverwaltung, kann den Parlamentsdirektor ohne Weiteres feuern und das Personal nach eigenem Gusto nachbesetzen.

Ebenso wären Blockaden bei der Ausfertigung von Gesetzen denkbar, die Verweigerung von Unterschriften gewählter Rich­te­r*in­nen sowie Scharmützel mit dem Verfassungsgerichtshof. Zudem leitet der Landtagspräsident die Ministerpräsidentenwahl und entscheidet im Zweifel über die Auslegung eines verfassungsrechtlich umstrittenen Ergebnisses im dritten Wahlgang (siehe Spalte). Das könnte wiederum zu einer Hängepartie für die gewählte Regierung führen – sprich zu einer Verfassungskrise. In den falschen Händen kann selbst ein formal repräsentatives Amt großen Schaden anrichten. Eine Verfassungsreform scheiterte in Thüringen aber schon vor der Wahl an einer dafür erforderlichen Zweidrittelmehrheit.