Kommentar von Harriet Wolff zur politischen Krise Frankreichs
: Wie lange noch?

Big Business geht vor. Nach einer Woche erfolgloser Audienzen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gewährt hat, um das Pre­mier­mi­nis­te­r:in­nen­amt zu besetzen, ist er – der ohne größere Not das Parlament im Juni aufgelöst und damit die bestehende politische Krise extrem verstärkt hat – kurz mal nach Serbien abgedüst. Macron macht dort einen lukrativen Waffendeal klar, mit dem zwielichtigen und russlandfreundlichen Präsidenten Aleksandar Vučić.

Macron, dessen Parteienbündnis Ensemble bei den vorgezogenen Parlamentswahlen herb verloren hatte, lässt sich immer noch Zeit, das Amt zu besetzen. Ein selbstgefälliger Akt, der sein ohnehin geringes Ansehen in der französischen Gesellschaft, aber auch die Stimmung im Lande bitter beschädigt. Ständig predigt Macron, dass ihm eine kompromissbereite, große Koalition guter De­mo­kra­t:in­nen vorschwebe, allein, er ist derjenige, der kompromissunfähig ist. Was er dem siegreichen Bündnis Nouveau Front Populaire (NFP) vorwirft, dass es für dieses nichts außer dem Programm der NFP gäbe, trifft für ihn zu: Er will hinter und vor den Kulissen einfach alles bestimmen. Der ­Präsident, der sich trotz Niederlage innenpolitisch stets als Marionetten-Maestro begreift, steht jetzt vor dem politischen Salat, den er selbst angerichtet hat, durch sieben Jahre die französische Parteienlandschaft Kaputtmachen. Inklusive einem ­gefährlich erstarkten ultrarechten ­Rassemblement National, das sich stets falscher und noch staatstragender gibt. Fast niemand hat derzeit Lust, sich als neuer Regierungschef von Macron herumkommandieren zu lassen, ohne Mehrheit im Parlament dazustehen, beziehungsweise durch Misstrauensvoten gestürzt zu werden. Wer strategisch und machtbewusst denkt, hat als ­Po­li­ti­ke­r:in in Frankreich jetzt vor allem die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 vor Augen.

Und dennoch: Jenseits des linken Volkstribunen Jean-Luc Mélenchon von La France Insoumise (LFI), dessen Lebensziel es ist, die französische Gesellschaft nutzlos zu polarisieren, gibt es nach Lösungen suchende Po­li­ti­ke­r:in­nen im Linksbündnis NFP – was wahrscheinlich zu dessen Bruch führen wird. Selbst die von Macron abgelehnte, vom NFP nominierte Premierministerkandidatin Lucie Castets hat vorsichtige Verhandlungsbereitschaft erklärt. Sie meint es im übrigen Ernst mit ihrer Kandidatur – eben hat sie ihren eigentlichen Job gekündigt.

Ironie der Geschichte: Es könnte Macron in dieser verfahrenen Situation bald nichts anderes übrigbleiben, als Bernard Cazeneuve als Regierungschef anzufragen. Er war der letzte Premierminister unter dem Sozialisten François Hollande – bevor Macron 2017 die Präsidentschaftswahlen gewann …