Mehr Firmen bei Lieferketten in der Pflicht

Eine neue EU-Richtlinie löst das hiesige Gesetz ab. Dreimal mehr Unternehmen müssen berichten

Von Hannes Koch

Das deutsche Lieferkettengesetz ist seit Jahresbeginn komplett in Kraft, doch schon soll es geändert werden. SPD, Grüne und FDP wollen unter anderem die Pflicht zur Berichterstattung neu justieren. Wie sollen die Firmen künftig Rechenschaft darüber ablegen, was sie tun?

Das Gesetz verpflichtet größere einheimische Unternehmen, sich um die sozialen und ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten ihrer Zulieferer in aller Welt zu kümmern. Unter anderem einige Wirtschaftsverbände und die FDP übten Kritik an zu strengen Regeln. So einigte sich die Koalition kürzlich auf eine Abschwächung. Dabei sollen auch die Vorschriften für die Berichterstattung geändert werden. In den Berichten müssen die Firmen beschreiben, wie sie die Pflicht zur menschenrechtlichen Sorgfalt erfüllen. Eine wesentliche Änderung besagt, dass die Rechenschaft künftig nicht mehr auf Basis des deutschen Lieferkettengesetzes erfolgen muss, sondern im Einklang mit der EU-Richtlinie für Berichterstattung über Nachhaltigkeit (CSRD). Denn die EU hat inzwischen auch die umfassende europäische Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) beschlossen. Dem muss die deutsche Rechtslage jetzt angepasst werden. Widersprüchliche und komplizierte Regelungen, die Unternehmen belasten, etwa doppelte Berichtspflichten nach deutschem und EU-Recht, will die Koalition in diesem Zuge abschaffen.

Den Gesetzentwurf hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) inzwischen veröffentlicht. „Die neue Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wird in Deutschland schrittweise in Kraft treten“, heißt es dort. „Für das erste Geschäftsjahr 2024 gilt sie nur für große kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern.“ Ab 2025 kommen dann alle größeren Firmen ab 250 Beschäftigte hinzu. Insgesamt rechnet Buschmann mit „rund 14.600 berichtspflichtigen Unternehmen“. Das sind ungefähr dreimal so viele Gesellschaften, wie zur Zeit unter unter die Menschenrechtspflichten des deutschen Lieferkettengesetz fallen.

Diese Ausweitung der betroffenen Firmen erscheint erstaunlich, legte doch besonders die FDP Wert darauf, ihre Zahl zu verringern. Der Widerspruch erklärt sich aber so: Durch die Anpassung des deutschen Lieferkettengesetzes an die umfassende EU-Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) sinkt die Zahl der Firmen tatsächlich, die menschenrechtliche Pflichten im engeren Sinne erfüllen müssen. Nachhaltigkeitsberichte auf Basis der Berichtsrichtlinie CSRD sollen hingegen viel mehr Unternehmen veröffentlichen. Weil es sich um europäische Vorschriften handelt, kann die FDP das nicht verhindern.

Die größere Zahl der Firmen erklärt sich auch dadurch, dass die Nachhaltigkeitsberichte mehr Themen umfassen als die Lieferketten-Problematik – etwa die Folgen der Geschäftstätigkeit für das Klima. Sie sollen die bisher schon nötigen Finanzberichte ergänzen sowie Investoren und Banken über die gesamte Firmenpolitik informieren. Dementsprechend sollen auch die Nachhaltigkeitsberichte von privaten Wirtschaftsprüfern kontrolliert werden, nicht wie die bisherigen Lieferketten-Berichte durch das staatliche Bundesamt für Wirtschaft (Bafa).

Welche Variante für die Unternehmen strenger ist, lässt sich schwer sagen. Bisher müssen die Betriebe einen detaillierten Fragebogen des Bafa ausfüllen. Darin geht es unter anderem um die Risiken bei den Zulieferern, etwa ob Lohn vorenthalten wird, die Beschäftigten zu lange arbeiten oder gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt sind. Ferner geben die Firmen Auskunft über Maßnahmen, die sie ergreifen, um solche Probleme zu beheben. Die europäische Berichterstattungspflicht funktioniert grundsätzlich ähnlich, bietet den Ma­na­ge­r:in­nen aber mehr Entscheidungsfreiheit, wie und worüber sie berichten.

Diese Erklärungen müssen den Kapitalgebern allerdings plausibel erscheinen. Unter anderem deshalb hält Maxine Bichler von der Unternehmensberatung Löning die europäischen Berichte für „umfangreicher und detaillierter“. Die neuen Berichterstattungspflichten zu vernachlässigen wäre „keine kluge Geschäftsentscheidung, da sie dem Ruf eines Unternehmens erheblichen Schaden zufügen, das Vertrauen der Stakeholder untergraben und die Bindung von Talenten behindern kann“, sagte Bichler.