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Zeiten, die Mut brauchen

War das deutschsprachige Theater in der auslaufenden Saison vielfach politisch-revolutionäres Terrain, gibt es zur neuen Spielzeit eine Rückbesinnung auf Klassiker in Zeiten der Krise – mit Werken von Molière, Shakespeare und Bertolt Brecht

Von René Hamann

Das Theater ist tot. Nein, stimmt nicht, es lebt noch, es riecht nur etwas faul inzwischen. Vielleicht ist es so, dass sich das Theater erneut rückbesinnen muss, in Zeiten der Krise, rückbesinnen auf seine Stärken. Auf sein Repertoire. Schaut man sich jedenfalls die Programme und angehenden Premieren der großen Häuser an, bleibt der Eindruck: vieles vom Üblichen, vieles von dem, was in den vergangenen Jahren so ging, kaum mal ein Risiko, dafür eine Bewegung zurück zu den Ursprüngen des Theaters, zurück zur Klassik.

Der Held der vorigen Spielzeit, der Saison 2023/24, war allerdings ohne Zweifel Milo Rau, der neue Intendant und Macher der Wiener Festwochen. Ja, die Wiener Festwochen im Mai hatten es tatsächlich in sich: „Die Corporate Identity des Festivals als politisch-revolutionäres Terrain hat sich bezahlt gemacht“, schrieb etwa der Standard. Zuschauerauslastung von über 95 Prozent!

Bloß, die Festwochen sind ein Festival, ihre Zeit ist begrenzt, das Programm für das nächste Jahr steht noch in den Sternen. Und Milo Rau, der vorher im belgischen Exil zugange war, hat sich in den paar Wochen im Grunde auch nur als Spitzenkoch bewährt: Er hat die nötigen Ingredienzien gefunden, angemessen auf die gewichtigen Probleme der Gegenwart reagiert, hat die österreichischen und speziell Wienerischen Besonderheiten berücksichtigt und zur Debatte gestellt, er hat die Leute im Negativen und Positiven da abgeholt, wo sie vor allem politisch stehen.

Geht es auf den deutschsprachigen Bühnen in der Theater-Spielzeit 2024/25 also so aktionistisch weiter? Leider weniger. Die Burg zum Beispiel, also das Wiener Burgtheater, das wesentlich zum Erfolg der Wiener Festwochen beitrug und von Elfriede Jelinek schon vorher mit einem Stück bedacht wurde, das den Namen des Theaters trägt (vielleicht kontert Regisseur und Ex-Volksbühnen-Intendant Frank Castorf ja einmal mit „Volksbühne“?), wartet lieber mit Molière oder Shakespeare („Hamlet“, Regie Karin Henkel, 5. September) auf und trägt ansonsten zum Theatercomeback des Autoren Rainald Goetz bei, dessen Roman „Johann Holtrop“ hier unter der Regie von Stefan Bachmann für die Bühne dramatisiert wird (Premiere am 7. September).

Der im Februar dieses Jahres verstorbene Dramatiker René Pollesch feiert seine Auferstehung vom Theaterhimmel aus

Goetz’ neues Stück „Lapidarium“ findet hingegen noch keinen Platz auf den Bühnen der deutschsprachigen Welt, im Gegensatz zum guten alten Bertolt Brecht, der am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg von Intendantin Karin Beier persönlich inszeniert wird. „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ feiert am 22. September Premiere, mit dabei sind Joachim Meyerhoff und Lilith Stangenberg. Freuen darf man sich auch auf eine weitere Dramatisierung, nämlich des Lokalmatadoren Heinz Strunk: „Ein Sommer in Niendorf“ dann im März 2025. Ebenso gespannt sein darf man auf „Eine Inszenierung von Karin Henkel“ unter der Regie von Karin Henkel am 1. März 2025. Tja, vielleicht steht da auch nur noch nicht der Titel fest. Es wird schon nicht Shakespeare sein!

Von Hamburg nach München, wo es genau diesen Shakes­peare gibt (Premiere „Ein Sommernachtstraum“ im Residenz Theater am 27. September, Regie Stephan Kimmig, und „Was ihr wollt“ von Shakespeare unter der Regie von Lies Pauwels am 30. April 2025 in den Kammerspielen). Letztere, also die Kammerspiele, haben immerhin auch Sybille Berg („RCE“, nach dem Roman, 8. März 25) oder Aischylos unter der Regie von Thomas Köck („proteus 2481“, 13. Dezember) im Programm. Den ursprünglichen Münchner Goetz kann man indes noch in Berlin sehen, wo sein Stück „Baracke“ von Claudia Bossard noch einmal am 15. Oktober ins Deutsche Theater gebracht wird.

René Pollesch, der größte Verlust, den das Theater in diesem Jahr zu beklagen hat, feiert eine Art Wiederauferstehung, wenn am 24. Oktober in der Berliner Volksbühne das Stück „Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis (Manzini-Studien)“ Premiere feiert. Regie angeblich: René Pollesch. Wie diese Wiederbelebung konkret aussehen soll, bleibt allerdings schleierhaft.

Aber ja, es ist eine Übernahme aus Zürich, wo das Stück bereits 2018 aufgeführt wurde. Dort, also am Schauspielhaus Zürich, erscheint Pollesch bereits am 21. September mit „Liebe, einfach außerirdisch“, ebenso als „Regisseur“. Leitet er vom Theaterhimmel aus? Auch der gute alte William Shakespeare gastiert an diesem Ort, diesmal mit „König Lear“ unter der Regie von Anne Lenk. Immerhin: Thomas Melle hat das Stück neu bearbeitet.

Doch warum immer dasselbe spielen? In Salzburg hat kürzlich eine Lesung von „vergessenen Theaterstücken“ unter der Leitung des Schweizer Regisseurs Zino Wey stattgefunden. Gute Idee! Darunter waren Theodor Herzls „Das Neue Ghetto“ (1898) oder auch „Der blinde Passagier“ (1938/39) von Maria Lazar. Vielleicht zeigt ja eines der großen Häuser mal Mut und nimmt ein solches „vergessenes“ Stück in sein Programm auf.

Aber das wird nicht alles sein; es sei einmal darauf gewettet, dass da draußen noch zahlreiche neue Stücke noch nicht so bekannter Autorinnen und Autoren auf ihre große Stunde warten. Man muss nur Mut haben. Die Zeiten wären danach.

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