Die Geschichte bleibt im Land

Wissenschaftler des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Uni Köln erforschen und dokumentieren Felsmalereien aus Namibia und übergeben Ergebnisse und Interpretationen den erforschten Völkern

VON CHRISTIANE MARTIN

Tilman Lenssen-Erz sitzt mit einem Tuschstift in der Hand über große Papierbögen gebeugt an seinem Arbeitsplatz im Institut für Ur- und Frühgeschichte der Uni Köln. Akkurat paust er Figuren von Menschen, Zebras, Antilopen und Giraffen ab und dokumentiert so ein einzigartiges Zeugnis der Menschheitsgeschichte: 2.000 bis 6.000 Jahre alte Felszeichnungen aus Namibia, die die komplexe Weltanschauung der damaligen Menschen zeigen. „Das hat nichts mit primitiver Kunst zu tun“, stellt der Prähistoriker sofort klar und hat jede Menge Interpretationen der meist metaphorischen Bilder parat. Gemeinschaft, Gleichheit und Mobilität seien als Ideale deutlich erkennbar.

Lenssen-Erz betrachtet seine Studienobjekte mit Respekt, der sich auch in einem vorbildlichen Forschungsethos seines Teams widerspiegelt. Entgegen des immer noch verbreiteten Wissenschaftskolonialismus, der die Interessen der erforschten Völker außer Acht lässt, hat die Uni Köln jetzt die Originalfolien, auf denen die Felszeichnungen festgehalten sind, dem Nationalmuseum in Namibia zurückgegeben. „Da gehören sie hin“, zeigt Lenssen-Erz sich zufrieden mit dem Abschluss seines 20 Jahre dauernden Projektes.

Bereits in den 1930er Jahren war die Uni Köln auf die Felsmalereien in Namibia aufmerksam geworden und wollte die witterungsanfälligen Bilder für spätere Generationen bewahren. Mit beispielloser Akribie zeichnete deshalb der südafrikanische Felsbildforscher Harald Pager die Kunstwerke mit einem Bleistift auf über 6.000 Folien ab. Parallel dazu machte er Notizen über die natürliche Umgebung der Fundstellen. Nach seinem Tod 1985 entschloss sich die Uni Köln zu einem neuen Projekt, das nun auf die Publikation der Felszeichnungen abzielte. In sieben Katalogbänden sollten alle Felsbilder veröffentlicht werden.

Lenssen-Erz und seine Kollegen aus Köln und aus Namibia suchten dazu alle Fundstellen noch einmal auf und dokumentierten sie mit Fotos und eigenen Notizen. Die Folien von Pager nahmen sie mit nach Köln, kopierten sie hier mit Tusche auf Papier und verkleinerten sie mit einer alten Reprokamera. Selbst die Offset-Filme für den Druck wurden im eigenen Haus zusammengeklebt. „Wir bedienen uns dabei ganz bewusst alter Handwerkstechniken, die vielleicht methodisch antiquiert sind, aber im Ergebnis unschlagbar“, sagt Lenssen-Erz. Nur so seien in hohem Tempo, mit vertretbaren Kosten und guter Qualität die bisher fünf Katalogbände entstanden. Zwei weitere würden in absehbarer Zeit erscheinen.

Pagers Originalfolien werden in Köln nicht mehr benötigt. Die Rückführung nach Namibia ist für die Kölner Forscher selbstverständlich. Weltweit aber hat diese Aktion Pioniercharakter. Immer noch seien viele Museen voll mit Exponaten, die eigentlich in ihre Herkunftsländer gehörten, so Lenssen-Erz. Nur zögerlich und meist auf öffentlichen Druck hin würden die Fundstücke zurückgegeben.

Die Ziele ihrer zukünftigen Forschungen gehen aber darüber noch hinaus. „Wir wollen den Menschen in Namibia behilflich sein, ihre eigene Geschichte zu erforschen“, sagt Lenssen-Erz. Es reiche nicht aus, die fertigen Forschungsergebnisse wieder zurück in das Land zu bringen. Die Einheimischen sollen selbst aktiv mitarbeiten und dadurch auch qualifiziert werden.