Kommentar von Nadine Conti über Gewalt an Schulen
: Die gefühlte Lage ist immer schlecht

Es ist natürlich immer hübsch einfach, eine allgemeine Verrohung zu beklagen, den Verfall der Sitten und Werte. Das kostet nichts und verlagert die Verantwortung auf einen diffusen Anderen: die Gesellschaft, die Elternhäuser, irgendwen. Diese Klage ist seit 5.000 Jahren verbürgt, damals bei den Sumerern. Als Platon und Sokrates sich vor 2.500 Jahren über die verdorbene Jugend von heute, also damals, echauffierten, war sie also schon ein ziemlich alter Hut. Nur vorangebracht hat sie noch nie jemanden.

Vor allem die Schulen sollten es sich nicht so leicht machen. Es ist ihr Job, sich auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen einzustellen und damit umzugehen. Es ist unwürdig, wenn sie sich damit begnügen, es sich in der jammernden Opferhaltung bequem zu machen. Eine sinnvolle Prävention und Reaktion erfordert erst einmal eine präzise Analyse: Welche Situationen eskalieren hier und warum? Welchen Anteil hat das System Schule daran? Und was kann man tun, um das zu ändern?

Es ist bemerkenswert, wie viele Fragezeichen allein der Befund hinterlässt. Da werden zum Beispiel übergriffige Eltern beklagt. Die einen verweisen da gleich auf migrantische Familien, die in Mannschaftsstärke das Schulgelände stürmen, weil die Tochter nicht pünktlich nach Hause gekommen ist. Andererseits beklagen in der Umfrage Lehrer verbale Gewalt im Zusammenhang mit der Notengebung. Sind hier die gleichen sozialen Gruppen am Werk?

Da werden munter digitale, verbale und physische Gewalt in einen Topf geworfen. Dabei scheinen sich die Opfergruppen deutlich voneinander zu unterscheiden: Physische Gewalt trifft häufiger Männer, digitale Gewalt häufiger Frauen, vor allem Berufsanfängerinnen.

Und was ist mit der viel beklagten Respektlosigkeit? Werden Eltern und Schüler in diesem System denn respektvoll behandelt? Trifft es niemanden, dass Schüler sehr viel häufiger Opfer sind als Lehrer?

Es ist der Job der Schulen, sich auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen einzustellen und damit umzugehen

All das wäre eine präzisere Analyse wert. An die kommt man aber nicht, wenn man sich in wechselseitigen Vorwürfen und Vorurteilen verschanzt. Gleichzeitig ist auch klar, dass ein System, das strukturell überlastet ist, genau dafür keine Kapazitäten hat. Unter Stress kommen Geduld, Einfühlungsvermögen und Empathie unter die Räder. Darüber sollte man reden. Nicht über Erlasse, Sicherheitsdienste und den gefühlt 600. Untergang des Abendlandes.