Doris AkrapGeraschel
: Verbote gehören in den Verkehrsbereich

Foto: privat

Seit es das Deutschlandticket gibt, gehe ich mehr zu Fuß. Früher fuhr ich Fahrrad, heute muss ich erst mal zu den Bahnhöfen laufen.

Kürzlich trotte ich hinter einer jungen Frau her, als mein Blick von ihrer rechten Hand angezogen wird: Sie trägt ein Handy. Sie trägt es wirklich, also nicht vor dem Gesicht, um darin zu lesen oder zu schreiben. Sie trägt es wie ein Accessoire, wie eine Aktentasche, als wäre es das normalste von der Welt.

Schon sonderbar diese Zeiten, denke ich und merke plötzlich ein Gewicht in meiner rechten Hand. Mein Handy. Shit, stimmt. Auch ich nehme mein Handy mittlerweile an die Hand wie sonst nur Eltern ihre Kinder oder Verliebte ihre Liebe. Meine vier Finger umarmen es von hinten, mein Daumen schmiegt sich von der anderen Seite um die sanft abgerundete Kante. Eng ineinandergeschlungen schlendern wir gemeinsam zur U-Bahn, ins Büro, in die Bar, den Park.

Wir verstecken unsere Beziehung schon lange nicht mehr, zeigen uns als unzertrennliches Paar in aller Öffentlichkeit. In der Anfangsphase hatten wir uns bemüht, das Verlangen zu verstecken, uns heimlich aufs Klo verzogen. Inzwischen sind wir zu einer symbiotischen Einheit verschmolzen. Manchmal aber stecke ich das Handy mitten im Gehen in meine Tasche. Ein erstes Anzeichen für das unausweichliche Ende?

Noch bevor ich mir die Frage ernsthaft stellen kann, hab ich das Handy schon wieder in der Hand. Kribbeln im Bauch, Wiedersehensfreude, hach, es ist doch schön mit dir. Sicher, diese Beziehung ist toxisch, meine emotionale Abhängigkeit längst plus 1000. Doch anstatt einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, suche ich nach Mitmenschen, denen es genauso geht und werde natürlich fündig.

Ich rede mir ein, dass ich das Handy ständig in meiner Hand spüren müsse, weil ich unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide: Ich bin Mehrfachopfer von Handtaschen- und Handyräubern.

Aber klar ist das Quatsch. Ich will einfach nur ständig in dieses Ding starren.

Hier ­erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche: „Grauzone“ von Erica Zingher

Vor ein paar Tagen will ich mit dem umschlungenen Handy in die U-Bahn steigen. Doch eine junge Frau vor mir bleibt an der Bahnsteigkante stehen, um noch irgendwas in ihr Handy zu tippen, bevor sie den Waggon betritt. Tssssss, denke ich, diese rücksichtslose junge Generation. Am nächsten Tag laufe ich wieder zur U-Bahn und höre plötzlich laut: „Guten Mooooooooorgen!“. Ich muss stehen bleiben, weil ein Mann in orangener Kluft einen großen Mülleimer hinter sich herziehend mir den Weg abschneidet. Er hatte Recht, mich freundlich zu ermahnen. Ich hatte ihn nicht gesehen, weil ich im Laufen in mein …

Ich halte wenig bis nichts von Verboten im politischen Bereich, glaube mit Ausnahmen nicht an ihre Effektivität. Verbote gehören in den Verkehrsbereich. Da sind sie richtig aufgehoben, machen Sinn und verhindern schmerzhafte bis tödliche Zusammenstöße. Sich an die Regel zu halten, dass man bei Rot nicht über die Ampel geht, ist eine zivilisatorische Errungenschaft. In den vergangenen Jahren verzeichnet die Unfallstatistik einen eklatanten Anstieg an Verkehrsunfällen mit Fußgängerbeteiligung. Der Grund: „Unaufmerksamkeit“.

Aufmerksamkeit lässt sich im intellektuellen Bereich schwer erzwingen, in der Straßenverkehrsordnung aber locker: Analog zum „Rotlichverstoß“ könnte folgender Paragraph eingeführt werden: Wer im Gehen auf öffentlichen Wegen länger als 10 Sekunden auf sein Handy guckt, zahlt mindestens 90 Euro. Statt eines Punktes in Flensburg, wird der Fußabdruck in der individuellen CO2-Bilanz um eine Schuhgröße erhöht – in schweren Fällen droht ein Handyverbot.

Ich will einfach nur ständig auf mein Handy starren

Ich fänd’s super, allein um wenigstens mal eine Verbotsdebatte zu führen, die nichts mit Meinungsfreiheit, essen oder rechts zu tun hat.