Rechtsruck in Ravensburg

Populistische Texte, Interviews mit Extremisten und der Tod des Chefredakteurs – worum geht es bei dem Kurswechsel der „Schwäbischen Zeitung“? Ehemalige und derzeitige Mit­ar­bei­te­r*in­nen berichten

Die „Schwäbische Zeitung“ sieht sich selbst als bürgerlich-liberal-­christlich Foto: Joachim E. Röttgers/imagebroker/picture alliance

Von Nicholas Potter

Christlich und konservativ: Das war die Schwäbische Zeitung schon immer. Doch in den vergangenen Monaten rückt die Regionalzeitung aus Ravensburg immer weiter nach rechts, berichten ehemalige und derzeitige Mit­ar­bei­te­r*in­nen der taz.

Das zeigt sich etwa an einem Interview mit Hans-Georg Maaßen vom 21. Juli. Schon in der Überschrift darf der Ex-Verfassungsschutzchef, der sich seit dessen Rauswurf im November 2018 immer wieder rechtspopulistischer und verschwörungsideologischer Narrative bedient, behaupten, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sei „die größte Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie“.

Die Aussage bleibt im Gespräch unwidersprochen, Maaßen behauptet, Faeser würde „der linksextremen Antifa nahestehen“. Im Rest des Interviews darf er die Kernfragen der Querdenken-Blase aufgreifen („Was wusste die Bundesregierung? Woher kamen die Coronaviren wirklich?“). Und die Falschbehauptung verbreiten, die ihn einst den Job gekostet hat: Es sei eine „Lüge“, dass es 2018 in Chemnitz rassistische Hetzjagden gegeben habe.

Und die Schwäbische Zeitung? Sie stilisiert Maaßen als Opfer der Affäre: „Sie sind damals hart angegangen worden [...]. Waren Sie im Nachhinein überrascht, wie sehr Sie von einem Großteil der Medien und dann auch von der Politik in die rechte Ecke abgestempelt worden waren?“

Eine Reihe weiterer fragwürdiger Texte, Interviews oder redaktioneller Entscheidungen sorgten auch intern für scharfe Kritik. Vor allem der überregionale Teil der Zeitung fällt zunehmend mit populistischen Positionen auf.

Die taz hat mit mehreren Mit­ar­bei­te­r*in­nen gesprochen. Manche haben inzwischen gekündigt, andere überlegen, die Zeitung zu verlassen. Sie alle wollen anonym bleiben – aus Angst vor beruflichen Konsequenzen. Ihr Urteil ist eindeutig: Das Blatt, für das sie gerne geschrieben haben, ist nicht mehr dasselbe.

„Über diesen Rechtsruck wird kaum geredet“, sagt eine. Eine andere: „Es gibt einen Ruck zu rechtspopulistischen Inhalten, die wir als Belegschaft mit großer Sorge sehen.“ Ein dritter spricht von einem „verschwörerischen und populistischen Unterton“, der eine bestimmte Zielgruppe triggern soll: „Flankiert wird das durch Interviews mit neurechter Prominenz, die Gefälligkeitsjournalismus darstellen.“

Im Jahr 1945 wurde die Schwäbische Zeitung gegründet, herausgegeben vom Schwäbischen Verlag. Die „Tageszeitung für christliche Kultur und Politik“ ist eines der größten Blätter Baden-Württembergs mit rund 130.000 Abon­nen­t*in­nen – mehr als die taz hat. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter renommierte Journalistenpreise. Doch sie ist von den Herausforderungen der Branche betroffen: Die Abozahlen sinken, die Kosten steigen.

Lutz Schumacher soll die Zeitung wieder auf Kurs bringen: Im Januar 2020 wechselte der Geschäftsführer vom mecklenburg-vorpommerischen Nordkurier zum Schwäbischen Verlag, ein Jahr später wurde der Verlag zum alleinigen Gesellschafter der Nordkurier Mediengruppe, nachdem er schon seit über 30 Jahren zu einem Drittel daran beteiligt gewesen war.

Schumacher spricht in Interviews von einer „digitalen Transformation“ – auch der Kauf des Nordkuriers gehört dazu. Statt digitale Abos will er auf Reichweite setzen, die Bezahlschranke der Onlineseite wurde inzwischen abgeschafft. An einer „Klick-Schlacht“ wolle er sich aber nicht beteiligen.

Die Realität sieht bisher anders aus: Im Juni veröffentlichte die Schwäbische Zeitung das ungekürzte und unverpixelte Video des tödlichen islamistischen Messerangriffs in Mannheim, bei dem ein Polizist ermordet wurde. Bis heute ist die Aufnahme online. Vier Personen haben sich inzwischen über das Video beim Deutschen Presserat beschwert, der sich nun mit dem Fall beschäftigen wird, heißt es auf taz-Anfrage. Auch Mit­ar­bei­te­r*in­nen üben Kritik. Und die Chefredaktion der Schwäbischen Zeitung? Sie will die redaktionelle Entscheidung nicht kommentieren.

Doch auffällig ist vor allem der politische Kurswechsel des Blatts, denn das Maaßen-Interview war kein Ausrutscher: Im Mai durfte der AfD-Politiker Maximilian Krah, Spitzenkandidat der rechtsradikalen Partei bei der Europawahl, auf einem prominenten Platz in der Zeitung ausführlich zu Wort kommen. Kurz zuvor wurde dessen Mitarbeiter wegen mutmaßlicher Spionage für China festgenommen, Krah soll zudem Geld aus Russland erhalten haben. Kritische Nachfragen? Nicht wirklich.

Ähnlich unkritisch verliefen Interviews mit den AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla. Grünen-Chef Omid Nouripour wiederum musste sich im Juni dafür rechtfertigen, dass seine Partei „besonders gegen ‚rechts‘“ kämpfe – mit „rechts“ in Anführungszeichen. Der Interviewer, Mitglied der Chefredaktion, wirft der grünen Partei vor: „Teile der Grünen haben Schwierigkeiten mit zu viel Nationalstolz.“

Es entsteht das Bild einer Zeitung, deren Kernthemen sich zunehmend wie bewusst gewählte Triggerthemen lesen, die Klicks generieren sollen, ob Gendern oder Coronapolitik. Und diese Wende führen manche Kri­ti­ke­r*in­nen auf einen Mann zurück: Jürgen Mladek, der im April 2022 vom Nordkurier zum Co-Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung wechselte und dann zum Leiter des neuen „Editorial Boards“ ernannt wurde, der die Chefredaktionen beider Zeitungen ersetzt.

In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Nordkurier unter seiner Aufsicht zu einem Querdenken-nahen Blatt. Mit allen reden und dabei bloß nicht zu kritisch sein – so schien seine Devise zu sein. Auch mit Rechtsradikalen, Querdenkern oder Pseudowissenschaftler*innen.

Mit diesem Kurs soll er mit seiner neuen Redaktion in Ravensburg aneinandergeraten sein. Er habe die Schwäbische Zeitung zu einem „Abklatsch des Nordkuriers“ gemacht, berichtet eine Redakteurin der taz.

Ende Juni beschrieb ein Artikel des Medieninsiders die Zustände bei der Schwäbischen Zeitung unter Mladek: Die Stimmung sei „massiv verschlechtert“, berichteten Mit­ar­bei­te­r*in­nen dem Portal, er falle auf mit „kruden Ansichten“. Auch ein SWR-Artikel von Anfang August zitiert Mit­arbeiter*in­nen: Es gebe eine Offenheit für rechtspopulistische Themen. Einige langjährige Jour­na­lis­t*in­nen haben deshalb die Zeitung inzwischen verlassen, wie Katja Korf, Mitglied der Chefredaktion, oder Michael Wollny, Leiter der Onlineredaktion. Mit einer Austrittsprämie wollte Geschäftsführer Schumacher rund 40 Stellen abbauen. Am 13. August schrieb der Verlag in einer internen E-Mail, die der taz vorliegt, dass dieses Ziel schon frühzeitig erreicht worden sei.

Einige langjährige Jour­na­lis­t*in­nen haben die Zeitung inzwischen verlassen

Eine Wende in der Geschichte: Am 10. Juli starb Jürgen Mladek plötzlich im Alter von 56 Jahren. Der rechte Rand trauerte mit: „Deutschlands mutigster Chefredakteur während der Corona-Pandemie“, hieß es in der Überschrift eines Nachrufs beim rechtspopulistischen Portal Nius, verfasst von Mladeks früherer Nordkurier-Kollegin Simone Schamann. Auch die rechtsnationale Junge Freiheit fand für Mladek glühende Worte, nannte ihn einen „glorreichen Halunken“. Der rechte Desinformationsblogger Boris Reitschuster schrieb: „Ein Journalist, wie ich mir Journalisten seit meiner Kindheit immer vorstellte.“

Inhaltlich ändert sich nach Mladeks Tod wenig. Gabriel Kords, sein Nachfolger als Nordkurier-Chefredakteur, übernimmt die Leitung des Boards beider Zeitungen. Ex-Nius-Chef Jan David Sutthoff ist stellvertretender Chefredakteur. Hinzu kommt ab dem 1. September Philippe Debionne, ehemals Berliner Zeitung, der sich in einer Videoschalte für Redaktionsmitglieder am 12. August als „Sprössling der altehrwürdigen Mladek-Journalisten-Schule“ bezeichnet haben soll.

„Das Editorial Board hat sofort nach Mladeks Tod klargemacht: Es ändert sich gar nichts“, sagt eine Redakteurin. Sie fragt sich, ob der publizistische Kurswechsel Teil einer Strategie sei, Reichweite zu generieren. Und sie ist nicht die Einzige. „Die Strukturen werden als mediales Vehikel genutzt werden, um über Clickbait und Skandalisierung digitale Reichweite – und Stimmung – zu machen“, sagt ein anderer Mitarbeiter. „Es steckt also auf unternehmerischer Seite eventuell auch reiner ökonomischer Opportunismus dahinter.“

Michael Seidel, Kommunikationsleiter des Schwäbischen Verlags, weist diese Sichtweise vehement zurück und wirft der taz eine „tiefgreifende Unkenntnis der Materie“ vor. Einen Kurswechsel gebe es nicht. Chefredakteur Gabriel Kords beschreibt die Zeitung als „seit jeher bürgerlich-liberal-christlich“, Populismus lehne sie ab. Beide bestreiten stark, dass die Zeitung sich in eine „rechte“ verwandelt habe. Und hinter dem Kauf des Nordkuriers stünde keine politische Entscheidung, sondern „schwäbisches Unternehmertum“.

Eine Erklärung für den Kurswechsel, den es offiziell nicht gibt, bietet Kords dennoch: „Die Chefredaktion hat zuletzt etwas stärker darauf geachtet, in der Berichterstattung tatsächlich alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen abzubilden und möglichst auch zu erreichen – darunter auch solche, die von den meisten großen Medien in den vergangenen Jahren nicht immer überzeugend erreicht worden sind.“ Zumindest manche Le­se­r*in­nen der Schwäbischen sind von ihrer Zeitung nicht mehr überzeugt. Eine, die sie seit 20 Jahren abonniert hat, sagt: „Sie wird immer tendenziöser, immer populistischer.“ Meinungsvielfalt sieht anders aus.