Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Zurück in die Zukunft

Wenn ihr einmalig durch die Zeit reisen könntet, dann wohin?“, fragt der Freund und löffelt sein Bananasplit. „Wofür würdet ihr es nutzen?“ Für Amüsement oder als Chance, das Böse abzuwenden? Entscheidet selbst.“

„Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll!“, sagt der andere Freund.

„Letzte Woche Solingen?“, fragt die Freundin.

„Solingen 1993?“

„Irgendwas müsste man verhindern.“

„Aber wir sind doch die Vergangenheit von übermorgen, also dann jetzt.“

„Nur, dass wir eben von nix wissen.“

„Es ist nicht leicht, präventiv perfekte Ideen zu entwickeln.“

„Aber dumme.“

„Wie zum Beispiel: Man könnte das Böse einfach abschieben.“

„Na, wenn, dann aber gleich alles Böse.“

„Aber wie aufspüren? Lupe?“

„Kontrastmittel?“

„Rorschach-Test?“

„Es müsste ein wahrlich findiger Test her!“

„Quasi ein Science-Fiction-Erkenntnisgerät.“

„Wer soll das bezahlen?“

„Und entwickeln?“

„Hier, die beiden Biontechs.“

„Glaub’, die sind gerade busy mit Krebs.“

„Auch böse.“

„Kennt aber keine Nationalitäten.“

„Hautfarben.“

„Geschlechter.“

„Unterscheidet nicht zwischen arm und reich.“

„Dumm und dümmer.“

„Na, das macht Krebs aber nu’nicht zum Helden.“

„Jedoch zum Menschenkenner.“

„Ich würd’nach 1968 reisen und das Attentat auf Rudi Dutschke verhindern.“

„Wieso?“

„Das hat meine Eltern spontan politisiert und sie haben sich beim Protest vorm Springer-Haus verknallt.“

„Und?“

„Ich hätte meine Zeugung verhindert.“

„Wozu?“

„Dann müsste ich mir den ganzen Shit nicht reinziehen und überlegen, für welchen historischen Horror ich Verantwortung übernehmen könnte.“

„Nicht zu vergessen: der Butterfly-Effekt.“

„Stimmt, man kann nicht nur eine Sache ändern, alles ändert sich fortfolgend, Menschen verschwinden, grauenvolle Entwicklungen werden durch grauenvollere ersetzt.“

„Es gibt kein Entrinnen, Mensch bleibt Mensch.“

„Das Infame ist resistent.“

„Die Stimmen aller Schlächter überschlagen sich seit Tagen multi-extremistisch in euphorischer Wonne.“

„Ich würd’eher hedonistisch durch die Zeit reisen und mir ansehen, was es nicht mehr gibt.“

„Twin Towers?“

„Eher ein David-Bowie-Konzert.“

„Dann zumindest eine Rede von Martin ­Luther King.“

„Ein paar Inseln der Salomonen im Pazifik.“

„Im Klimawandel versunken?“

„Reis’doch jetzt noch schnell nach Tuvalu.“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Es wär’schlüssig, in der Vergangenheit den Klimawandel abzuwenden. Hätten alle was von.“

„Aber wie? Kapitalismus verhindern?“

„Industrialisierung.“

„Da kannste ja nu’nicht die Menschheit im Ganzen von abhalten.“

„Dann Menschheit verhindern.“

„Wäre ein Anfang.“

„Die Menschen von der Erde abschieben, bevor sie loslegen?“

„Also Adam und Eva?“

„Den Plot halte ich für alternative Fakten.“

„Wo Qualm ist, sind auch ausgedrückte ­Kippen im Paradies.“

„Misogyn genug, um real zu sein, ist die Story­line ja.“

„Vielleicht waren die nicht die ersten Menschen, sondern so was wie die ersten Influencer.“

„Zur Sicherheit müsste man also nahe dem Urknall ansetzen und wenn da menschkünftige Zellgemenge an Land kriechen – zurück damit ins Meer.“

„Der Planet wär’gerettet und könnte selig vor sich hin grünen.“

„Regnen und stürmen.“

„Quantitativ auf den Punkt für jedes grenzenlose Fleckchen Erde.“