Journalist will Verbotenes veröffentlichen dürfen

Ein Hamburger Journalist steht vor Gericht, weil er aus Akten eines laufenden Verfahrens zitiert hat. Das strafbewehrte Verbot will er einerseits grundsätzlich angehen – sieht aber auch einen ganz konkreten Interessenskonflikt auf Seiten des Generalstaatsanwalts

Dass daraus im laufenden Verfahren nicht zitiert werden darf, nennt ein Hamburger Journalist „pressefeindlich“: Prozessakten in einem Gerichtssaal Foto: Funke Foto Services/Imago

Von Friederike Gräff

Anfang September beginnt vor dem Hamburger Amtsgericht ein Verfahren gegen Carsten Janz: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Journalisten vor, aus den Akten eines unabgeschlossenen Verfahrens zitiert zu haben. Damit hätte J. gegen den wohl nur Fachkreisen bekannten Paragrafen 353d des Strafgesetzbuchs zu verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverfahren verstoßen. Das wäre erst einmal von geringem Interesse. Aber Janz sieht einerseits ein privates Interesse der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren und will andererseits den Prozess nutzen, um den Paragrafen, den er für „pressefeindlich“ hält, grundsätzlich prüfen zu lassen.

Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Artikel von Janz über Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft nach einem Amoklauf gegen die Zeugen Jehovas mit sieben Toten. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen Mitglieder des Waffenausschusses, der dem Täter die waffenrechtliche Erlaubnis ausgestellt hatte, ermittelt. Doch eine Hausdurchsuchung bei einem der Ausschussmitglieder wurde von einem Hamburger Gericht wegen mangelnden Tatverdachts als rechtswidrig erklärt.

Aus eben diesem 13-seitigen Beschluss des Landgerichts in Hamburg zitierte Janz in seinem Text für t-online – und zwar noch vor Abschluss des Verfahrens. Dort heiße es wörtlich, schreibt Janz, dass die Durchsuchung bei Murat B. rechtswidrig sei, weil „zum Zeitpunkt ihres Erlasses der erforderliche Anfangsverdacht einer Straftat nicht vorlag“. Weiter zitiert er das Gericht, dass sich der vorgeworfene Sachverhalt „jedoch unter keinem Gesichtspunkt unter einen Straftatbestand“ zusammenfassen“ lasse. Die Passagen finden sich rot angestrichen in der Akte zu seinem Verfahren, das mit einem Strafbefehl über 3.200 Euro endete.

Gegen den will sich Janz am 3. September vor Gericht wehren, prominent vertreten vom Hamburger Anwalt Gerhard Strate. Für den Investigativ-Journalisten Janz, der zunächst als freier Mitarbeiter beim NDR arbeitete und derzeit Redakteur bei t-online ist, lässt sich das Verfahren als „klarer Versuch von Einschüchterung“ deuten. Das hängt für ihn mit vergangenen Recherchen zusammen: Er hat über die sogenannte Ticket-Affäre berichtet, bei der es um teure St.-Pauli-Freikarten für den heutigen Hamburger Innensenator Andy Grote, den Hamburger Polizeichef Ralf Meyer sowie den ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) ging.

Der Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich habe von Ermittlungen abgeraten, heißt es in einem Beitrag von Janz für den NDR, in dem er die Frage stellt: „Hat er das möglicherweise getan, um eine öffentliche Diskussion im Vorfeld der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2020 zu vermeiden?“ Damit stand im Raum, dass der Generalstaatsanwalt den SPD-Politiker Grote hatte schonen wollen. Im Anschluss bat Fröhlich um ein Disziplinarverfahren gegen sich, um die Vorwürfe auszuräumen; die Justizbehörde fand dann keine Belege für ein Fehlverhalten Fröhlichs.

Carsten Janz erscheint es bemerkenswert, dass die Generalstaatsanwaltschaft in seinem Fall tätig geworden ist: „Der Fall ist zu hoch aufgehängt“, sagt er. Auf Anfrage der taz schreibt die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Liddy Oechtering: „Das Verfahren wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft (Zentralstelle Staatsschutz) von Amts wegen eingeleitet, da sich während der Ermittlungen gegen Mitglieder eines waffenrechtlichen Prüfungsausschusses strafrelevante Anhaltspunkte in der Presseberichterstattung des Beschuldigten ergaben.“ Wie häufig solche Verfahren sind? Die Zahl wird nicht erhoben.

Für Janz ist sein Fall ideal geeignet, um den „missbräuchlichen Charakter“ des Paragrafen 353d zu zeigen: „Es hätte inhaltlich nichts verändert, wenn ich nicht wörtlich zitiert hätte“, sagt er. Grundsätzlich sei es im investigativen Journalismus wichtig, wörtlich zitieren zu können, um komplizierte Sachverhalte präzise darstellen zu können.

„Es hätte inhaltlich nichts verändert, wenn ich nicht wörtlich zitiert hätte“

Carsten Janz über den „missbräuchlichen Charakter“ von Strafrechts-Paragraf 353d

Er sieht seinen Fall verwandt mit dem des Journalisten und Leiter der Rechercheplattform „Frag den Staat“, Arne Semsrott. Der hat Gerichtsbeschlüsse aus einem laufenden Strafverfahren gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ veröffentlicht und damit bewusst eine Anzeige in Kauf genommen hat, um prüfen zu lassen, ob der Paragraf verfassungsrechtlich Bestand hat. Das Verfahren gegen ihn soll im Herbst in Berlin beginnen.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat nach Semsrotts Veröffentlichung den Bundestag dazu aufgefordert, den Paragrafen 353 zu reformieren. „Es muss Journalistinnen und Journalisten erlaubt sein“, so der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster, „in ihrer Berichterstattung über wichtige Verfahren Gerichtsdokumente zu veröffentlichen, solange sie die Privatsphäre Betroffener respektieren.“

Auf der anderen Seite gibt es Juristen wie den Münchner Rechtswissenschaftler Thomas Fischer, der in einem Beitrag für Legal Tribune online den Schutzcharakter des Paragraphen für Prozessbeteiligte betont: Die Beschränkung auf indirekte Zitate ziehe eine Grenze zwischen „staatlichem und Medien-Verfahren“ – und genau das trage „dem Grundrecht der Pressefreiheit Rechnung und vermeidet zugleich eine willkürliche formale Vermischung von staatlicher und privater Sphäre“.