Die Kunst des Subtilen

Wenn man seine Arbeit kaum bemerkt, dann hat er alles richtig gemacht: Der Bremer Sounddesigner Anders Wasserfall will für Filme Klangbilder schaffen, bei denen alles Überflüssige wegfällt wird. Damit emotionales Erzählen auch auf der Tonebene möglich wird

Verzichtet bewusst auf Klischees wie den Herzschlag, wenn es spannend wird: Anders Wasserfall Foto: Niko Wolff

Von Wilfried Hippen

Wenn man sich bewusst wird, dass man einen Klang hört, dann ist das Sounddesign bei einem Film nicht wirklich gelungen. Durch die Tongestaltung sollen die Illusion und die Atmosphäre verstärkt werden, die durch die Bilder geschaffen werden. Sie soll das Eintauchen in die Erzählwelt eines Films möglichst intensiv werden lassen. Dies ist einer der Widersprüche des Sounddesigns im Kino: Es ist dann am wirkungsvollsten, wenn es zwar unbewusst wahrgenommen, aber nicht bemerkt wird.

Auch darum zählt das Sounddesign zu den unbekannteren Gewerken des Filmemachens. Wie der Regen, das Schließen einer Tür oder ein Schuss in einem Film klingen, wird nur selten als ein bewusst gestalteter Klang wahrgenommen. Dabei ist dies eine Arbeit, die viel Einfühlungsvermögen und Musikalität erfordert – kein Wunder also, dass „subtil“ zu den Worten zählt, die Anders Wasserfall häufig verwendet, wenn er seine Arbeit als Sounddesigner beschreibt.

Es ist ihm auch wichtig, dass seine Arbeit nicht als Handwerk, sondern als ein künstlerisches Schaffen verstanden wird. Da wird dann zum Beispiel das Zuschlagen einer Autotür aus bis zu fünf verschiedenen Grundtönen zusammengemischt. Dazu gehören möglichst authentische Klänge wie das bei Dreharbeiten aufgenommene Originalgeräusch, aber auch elektronisch erzeugte Töne, die dem Klang zum Beispiel mehr Bass geben, sowie Soundfiles aus seinem großen, digitalen Tonarchiv. „Gefaked ist alles“, sagt Wasserfall selbst.

Aber als er an dem Sounddesign für den Film „Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers“ arbeitete, ging er mit seinem Surround-Mikrofon in die Moorlandschaften von Worpswede, wo große Teile des Films gedreht wurden. Denn dieser Ort hat sein ganz eigenes Ambiente. Wenn in einem Film am frühen Morgen Vögel zwitschern, dann kann man dafür nicht mit den Tondateien von abendlichen Vogelgesängen arbeiten, selbst wenn nur Or­ni­tho­lo­g*in­nen oder Klang­ex­per­t*in­nen wie Wasserfall den Unterschied erkennen: „Irgendetwas stimmt nicht und das spürt man.“

Wenn Wasserfall einen Klang nicht von den Ton­tech­ni­ke­r*in­nen bei den Dreharbeiten aufnehmen lassen kann und ihn auch nicht in seinem vier Terabyte großen Archiv findet, dann muss er ihn bei großen Datenbanken kaufen. Stehlen ist dabei übrigens kaum möglich, denn die Files haben ein akustisches Wasserzeichen in einer Frequenz, die menschliche Ohren nicht hören können.

Als ein Beispiel für solch eine Datei, nach der eine große Nachfrage besteht, nennt Wasserfall den sogenannten „trockenen Donner“, also das Geräusch eines Gewitters ohne Regen. Das sei schwer zu finden, aber für Sounddesigner wichtig, weil sie den Donner ohne die Regengeräusche viel besser modifizieren und abmischen können.

Bei einem Imagefilm für einen professionellen Skateboarder, an dem er gerade arbeitet, mischt Wasserfall unter die authentischen Roll- und Sprunggeräusche ein paar Klicks und „Whooshes“ – und schon wirken dessen Tricks in der Halfpipe noch cooler.

Anders Wasserfall ist in Norwegen aufgewachsen. Er hat in Oslo Audio Engineering und Sounddesign studiert. 2006 ging er nach er Berlin und machte dort in einer Band Musik. 2011 zog er aus privaten Gründen nach Bremen und begann, bei Filmproduktionen zu arbeiten – oft zusammen mit dem Filmkomponisten André Feldhaus und dem Geschäftsführer der Produktionsfirma Cine Complete, Andreas Hellmanzik. In Bremen machte er sich mit der Zeit einen Namen als ein sehr sorgfältig und einfallsreich arbeitender Sounddesigner. So etwa bei den Filmen von Beatrix Schwehm, Jule Körperich, Daniel Tilgner und Annette Ortlieb.

Sein Ziel ist ein möglichst minimalistischer Sound; ein Klangbild, bei dem alles Überflüssige herausgeschnitten wird, sodass ein emotionales Erzählen auch auf der Tonebene möglich wird. Bei Aufnahmen von einem Raum kann zum Beispiel durch einen nuanciert eingesetzten Ton eine drückende klaustrophobische Atmosphäre verstärkt werden. Dabei vermeidet Wasserfall Klischees wie etwa den bei Stresssituationen immer wieder gern untergemischten Herzschlag oder den Sinuston eines Tinnitus nach Explosionen oder Schüssen. Wenn man diese Tricks kennt, wirken sie nicht mehr – doch ­gerade bei Fernsehproduktionen sind dies gern verwendete akustische Ausrufungszeichen.

Bei Kinofilmen ist das anders. Hier arbeitet man mit Surround-Sound, hat also mehrere Kanäle im Raum verteilt, während man beim Fernseher nur den Stereoton mit zwei Lautsprechern hat. Wasserfall hat so viel mehr Möglichkeiten, mit den Sounds zu arbeiten.

Bei einem Imagefilm für einen Skateboarder mischt Wasserfall unter die Roll- und Sprunggeräusche ein paar Klicks und „Whooshes“ – schon wirken dessen Tricks in der Halfpipe noch cooler

Aber es gibt noch mehr audiovisuelle Medien als den Film. Anders Wasserfall arbeitet seit einigen Jahren mit der Bremer Produktionsfirma Urbanscreen zusammen, die für ihre Bildprojektionen auf Gebäude und Installationen international bekannt ist. So war er der Sounddesigner und einer der Komponisten bei deren Großprojekt „30 Years of the Peaceful Revolution – Fall of the Berlin Wall“, für das im Jahr 2019 historische Bilder von der Geschichte der Mauer auf sechs Berliner Wahrzeichen projiziert wurden.

Seine neueste Zusammenarbeit mit Urbanscreen wurde in diesem Jahr mit dem „European Design Award“ in Gold ausgezeichnet. Die Installation steht im Wittenberger „MehlWelten“-Museum. In ihr wird in einer abstrakt stilisierten Animation dargestellt, wie aus dem Getreide in einer Mühle Mehl gewonnen wird. Anders Wasserfall hat dafür ein kongeniales Sounddesign entwickelt, bei dem etwa die Klangbilder vom ­Rascheln des reifen Getreides auf den Feldern oder vom Fallen der Körner in die Silos ständig zwischen Geräusch und Musik oszillieren.

Hier wirkt das Sounddesign alles andere als unterschwellig, denn was man sieht und was man hört, ist in der Wirkung ebenbürtig. Anders Wasserfall hat hier sehr eindrucksvoll sein Ideal von einer stimmigen Symbiose von Bild und Ton verwirklicht.