Jugend verlässt Thüringen: „Gehen war nie eine Option“

Thüringen wird älter, weil die Jugend nicht bleiben will. Die 24-jährige Geraer Alina Walosczyk hat ihren Heimatort bewusst nie verlassen. Ein Porträt.

Alina Walosczyk auf der Kirchstraße in Gera Anfang Mai Foto: Ann-Marie Amthor

GERA taz | Alina Walosczyk sitzt in einem Café auf dem Geraer Marktplatz, es ist später Nachmittag, aus den Lautsprechern tönt Bruno Mars. „Ich habe mich schon immer in der Stadt wohlgefühlt“, erzählt sie. Ein Satz, den wohl nicht viele junge Ge­rae­r:in­nen über ihre Heimat sagen. Doch für Walosczyk ist das anders. Die 24-Jährige ist nicht nur in der drittgrößten Stadt Thüringens aufgewachsen, sondern hat sich bewusst für das „Daheimbleiben“ entschieden. Dabei ist die Zahl der Ein­woh­ne­r:in­nen in Gera seit 1995 um rund 23 Prozent gesunken.

„Meine Schullaufbahn war schon ein riesengroßes Hickhack.“ Familiäre Probleme und Depressionen sorgen für Klassen- und Schulwechsel: „Ich hatte in meiner jugendlichen Zeit so viel mit mir selber zu tun, ich wollte gar nicht über die Zukunft nachdenken.“ Während Walosczyk von einer bewegten Jugend spricht, ist sie ruhig, lächelt, lacht.

Dass es nach der Schule mit einer Ausbildung weitergeht, war für sie klar. Ein Grund: „Ich wusste, wenn ich studiere, dann muss ich wegziehen.“ Doch es fehlt an einem passenden Ausbildungsbetrieb. So entscheidet sie sich für den Bundesfreiwilligendienst und eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten – bei der Stadt.

Weder langfristige Freundschaften noch familiärer Bezug haben sie je gehalten. Was sie in Gera hält, ist Gera selbst: „Ich fand’s hier immer schön: die alten Villen, die Weiße Elster, der Stadtwald.“ Um der Stadt etwas zurückzugeben, engagiert sie sich früh ehrenamtlich.

Über die linke Szene kommt Walosczyk mit 16 zum Kinder- und Jugendhaus Shalom und unterstützt dort beinahe täglich, jahrelang. Am Ende habe sie gewusst, dass sie danach wieder etwas Ehrenamtliches machen wollte. So findet sie ihren Weg in die queere Community und wird Co-Vorsitzende des Christopher Street Day (CSD) Gera. Das Engagement ist Herzenssache: „Am liebsten würde ich alles ständig verbessern.“

Medien bezeichnen Gera als rechtsextremen Ort

Die „Tagesschau“ betitelt Gera oft als einen „Hotspot der rechtsextremen Szene“. Walo­sczyk weiß Bescheid: „Als queerer Mensch hält man sich hier nicht so gerne auf.“ Sie erzählt von herabgerissenen CSD-Plakaten, homophoben Stickern. Bei einem CSD-Umzug seien Böller auf die Teil­neh­me­r:in­nen geworfen worden, der rechtsextreme Dritte Weg hatte einen Stand, Regenbogenfahnen wurden beschmiert. Walosczyk berichtet von solchen Erlebnissen, als seien sie normal, gehören eben dazu für queere Personen.

Die junge Frau ärgert sich über den schlechten Ruf der Stadt: „Wenn ich erzähle, dass ich in Gera wohne, höre ich oft ‚Du Arme!‘, die nehmen das nicht für wahr, dass ich freiwillig hier lebe. In einer Stadt, deren negativer Ruf ihr ­vorauseilt, die immer kleiner und immer älter wird, steht Walosczyk für eine andere Perspektive: die bewusste Entscheidung zu bleiben, um etwas zu bewegen. „Weggehen war für mich nie eine Option. Warum sollte ich weggehen, wenn ich mich hier wohlfühle?“

Ann-Marie Amthor, 24 Jahre alt, ist im ostthüringischen Gera geboren und aufgewachsen. Heute studiert sie Journalismus in Leipzig, erkundet zu Fuß und auf dem Rad sämtliche Ecken des Ostens und versucht jungen Menschen eine Stimme zu geben.

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