Schleswig-Holstein spart an den Schwächsten

Weil Lehrkräfte fehlen, werden die Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen größer. SPD wirft Schwarz-Grün vor, keinen Überblick über die Schullandschaft zu haben

Würden unter Kürzungen besonders leiden: Schü­le­r:in­nen an Gemein­schafts­schulen Foto: Ronny Hartmann/dpa

Von Esther Geißlinger

In Schleswig-Holsteins Haushalt klafft eine Lücke von rund 900 Millionen Euro, die unter anderem durch Einsparungen geschlossen werden soll. Auch Schulen könnten betroffen sein. Eine mögliche Stellschraube gibt es bei den Gemeinschaftsschulen.

Bereits beschlossen ist eine Kürzung beim Sprach-Lernunterricht für Kinder ohne deutsche Muttersprache. Im Januar hatte Ministerin Karin Prien (CDU) angekündigt, die Klassen im Bereich Deutsch als Zweitsprache (DaZ) ab dem neuen Schuljahr zu vergrößern. Zwar habe die Regierung „alle Anstrengungen unternommen, um mehr DaZ-Lehrkräfte auszubilden, die Zahl der Stellen zu erhöhen und die Qualität zu verbessern“, sagte Prien.

So seien seit 2017 und erneut nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine rund 605 neue Stellen geschaffen worden. Hinzu kämen 160 ukrainische Lehrkräfte sowie zusätzliche Stellen für Aufgaben jenseits des reinen Sprachunterrichts. „Das hat es in dieser Form vor 2022 in Schleswig-Holstein nie gegeben“, sagte die Ministerin im Landtag.

Doch es folgte ein Aber: Die Zahlen der Kinder mit DaZ-Bedarf steigt schneller als die der Lehrkräfte – rund 35.000 waren es im September 2023. Daher sitzen ab dem neuen Schuljahr 18 statt bisher 16 Mädchen und Jungen ohne Deutschkenntnisse in den DaZ-Klassen. Damit bleibe Schleswig-Holstein „im Rahmen der bundesweit üblichen Lerngruppengrößen“, sagte die Ministerin.

Protest kommt von der Gewerkschaft GEW: „So macht die Landesregierung Bildungschancen zunichte“, protestierte deren DaZ-Expertin Katja Coordes. Die Klassen müssten eher kleiner werden. Das bestätigt Inger Petersen, Professor für Deutsch als Zweitsprache an der Kieler Universität: Schon bei 16 Kindern pro Klasse seien Lehrkräfte kaum in der Lage, alle individuell zu fördern, heißt es in einer Stellungnahme. Die geplante Vergrößerung der DaZ-Lernklassen, sei „eine kontraproduktive Maßnahme, die einer erfolgreichen Schullaufbahn von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein aller Wahrscheinlichkeit nach abträglich ist“.

Aktuell sieht die Bilanz der Regierung bei den DaZ-Klassen gar nicht so schlecht aus, das ergab eine Anfrage der SPD. So gehen alle Kinder, die mit ihren Eltern in den Erstaufnahme-Unterkünften leben, in die Schule. Auch wenn die Familien aus den Unterkünften in reguläre Wohnungen umgezogen sind, gibt es kaum Wartezeiten auf einen Schulplatz. Einzig in Kiel kann es zwei Wochen dauern, bis ein Kind einer Regelschule zugewiesen wird, in Lübeck ist es eine Woche. In den übrigen Regionen gibt es sofort einen Platz.

Martin Habersaat, Bildungsexperte der SPD-Landtagsfraktion, ist mit den Antworten der Landesregierung dennoch nicht zufrieden. „Die Regierung schaut nicht richtig hin“, kritisiert er: „Offenbar will man es nicht so genau wissen.“ Denn in den Antworten auf seine Anfrage verweist das Ministerium mehrfach auf allgemeine Regeln und die örtlichen Schulen. Dort aber sei die Lage komplizierter, als es auf dem Papier aussehe, sagt Habersaat: „In einigen Gemeinden sind die DaZ-Klassen weit weg vom Schulgelände untergebracht.“ Das Hineinwachsen in den Schulalltag, bei Fächern wie Musik oder Sport, das ja gewollt sei, finde gar nicht statt.“

Die Zahlen der Kinder mit DaZ-Bedarf steigt schneller als die der Lehrkräfte

Der Anspruch der Regierung müsse doch sein, Bescheid zu wissen, findet Habersaat: „Gerade wenn Frau Prien meint, das schlechte Abschneiden des Landes bei Pisa und anderen Untersuchungen habe mit der heterogenen Schü­le­r:in­nen­schaft zu tun, braucht es doch genaue Einsichten.“

Neben der bereits beschlossenen Vergrößerung der DaZ-Lerngruppen könnte es auch weitere Streichungen geben. Offiziell gibt es keine Zahlen. „Wir hören Gerüchte“, sagt Habersaat. So könnten an Gemeinschaftsschulen Doppelbesetzungen gestrichen werden, mit denen Gruppen geteilt werden oder zwei Lehrkräfte in der Klasse unterrichten.

„Wenn das in den Gemeinschaftsschulen passiert, würde das am meisten die Leistungsschwächsten treffen“, fürchtet Habersaat. Dazu gehören Kinder mit geringen Sprachkenntnissen.