Automobilisierung der Olympia-Sprache: Handbremse lösen und Gang einlegen!

Wenn KommentatorInnen über den olympischen Sport in Paris reden, nehmen Metaphern aus dem motorisierten Individualverkehr Überhand.

Jetzt aber fix „Gas geben“: Kanute Anton Winkelmann in Paris Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Unglaublich oder unfassbar. Das sagen sie immer wieder, die Reporter, die Sportlerinnen und die neuen Fluten an beisprechenden ExpertInnen in ARD und ZDF. Unglaublich sei dies oder unfassbar jenes, was auch passiert, immer wieder, überall, als schwebe dauersoufflierend der limitierte Sprachakrobat Bastian Schweinsteiger wie das olympische Feuer über Paris.

Am Montag war es in der Stadt „unglaublich heiß, 29 Grad“. Heiß? Ja. Aber ist das unglaublich? Unfassbar! Nach wissenschaftlich nicht gesicherten Zählungen führt (Stand heute Mittag) „unfassbar“ mit 1.133 Nennungen auf Goldkurs vor „unglaublich“ mit bislang 964.

Doch die wahre Kernkompetenz der KommentatorInnen ist eine andere: Er oder sie muss mehr „Gas geben“, heißt es beständig, auch mal „richtig Gas geben“ oder „endlich Vollgas geben“. Manchmal hört man auch die Analyse, es gelte „jetzt endlich die Handbremse zu lösen“, ersatzweise „von der Bremse zu gehen“, egal ob Fußballerin, Läufer oder Schwimmerin.

Danach muss man „den Vorwärtsgang einlegen“, ersatzweise „einen Gang höher schalten“ oder „einen Gang zulegen“. Gemeint ist immer: schneller sein, schneller werden. Willkommen bei Auto-Olympia.

„Turbo einschalten“

Wir erleben Paris als eine Art Motorsportveranstaltung. Autosprech überall, als hätten die Aktiven, aus welcher Disziplin auch immer, ein Verbrenneraggregat inside. „Jetzt muss er auf die Überholspur kommen.“ Wer schwächelt, möge bitte „Energie nachtanken“. Und dann bitte „den Turbo einschalten.“

Selbst beim Bahnradfahren war zu hören: „Sie wollen immer nur Vollgas geben.“ Aber leider: „Sie kriegen noch nicht alle PS auf die Bahn.“ Ja, die PS, die gibt es auch immer wieder. „Sie müssen mehr PS auf den Platz bringen.“ Alles ist Auto. Bald werden die Wassernebelanlagen noch zur Autowaschanlage erklärt.

All diese Modernismen macht einer wie Carsten Sostmeier nicht mit. Der Pferdemann der ARD kommentierte aus Versailles in einer anderen Liga im Duktus der 50er Jahre und mit mähnigen Sprachspielereien, bei denen das Stechen zum „hippologischen Elfmeterschießen“ wurde.

Würde Sostmeier, dieser Werner Hansch aus der Welt der Wasseroxer, der Ringelnatz der Hufeisen, dieser Piaffenpoet, ein Ross zu Vollgas auffordern? Nie! Oder PS in seinen Pferdekosmos einwechseln, um Himmels willen. Er erzählt lieber vom vorolympischen Hausherrn des Schlosses, Ludwig XIV. Der hatte noch kein Auto. Unfassbar.

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Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).

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