Amnesty erzürnt Bush-Kritiker

Menschenrechtsorganisation bezeichnet US-Militärgefängnis Guantánamo als Gulag

WASHINGTON taz ■ Amnesty international hat das US-Militärgefängnis in Guantánamo auf Kuba mit sowjetischen Straflagern der Stalin-Zeit verglichen und sich damit selbst unter Kritikern der Bush-Regierung keine Freunde gemacht. „Guantánamo ist zum Gulag unserer Zeit geworden“, sagte Generalsekretärin Irene Khan am Mittwoch bei der Vorstellung des Jahresberichts der Menschenrechtsorganisation. Statt einen Maßstab für den Schutz von Menschenrechten zu setzen, habe Washington neue Ausdrücke wie „Stresspositionen“ und „sensorische Manipulation“ gefunden, die das absolute Folterverbot verwässerten.

Kommentatoren, die die Gefangenenbehandlung in US-Internierungslagern anprangern, reagierten zum Teil empört auf die Sprachwahl. Bei aller berechtigten Kritik verweisen sie darauf, dass Guantánamo kein Netz riesiger Arbeits- und Konzentrationslager sei. Trotz Verschleierungsversuchen des Pentagon würden Misshandlungen vom FBI, Bürgerrechtsgruppen, der Presse und vom Militär untersucht und debattiert. Nicht Guantánamo sei die moderne Form des Gulag, sondern Gefängnisse in Nordkorea oder im Irak zu Zeiten Saddam Husseins.

„Einen Bericht über Gefangenenbehandlung als Amerika-Bashing zu benutzen, untergräbt amnestys legitime Kritik an der US-Politik und gibt der Bush-Regierung einen Vorwand, seriöse Einwände gegen ihr Verhalten als ‚hysterisch‘ zurückzuweisen“, schreibt die Washington Post. Sie wirft amnesty nicht nur einen semantischen Ausrutscher vor, sondern verantwortungslose Unverhältnismäßigkeit.

Derart angeschossen ließ das Weiße Haus erklären, dass die Anschuldigungen „lächerlich“ seien. Anders verhält es sich mit neuen Vorwürfen über Koranschändungen in Guantánamo, die am gleichen Tag von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion erhoben wurden. Diese veröffentlichte bislang geheim gehaltene FBI-Verhörakten, aus denen hervorgeht, dass sich muslimische Häftlinge seit Frühjahr 2002 über Misshandlungen und einen entwürdigenden Umgang mit dem Koran beschwerten. So soll das Heilige Buch in einigen Fällen auch in der Toilette hinuntergespült worden sein.

Über den gleichen Vorwurf hatte vergangene Woche das Magazin Newsweek berichtet. Nach gewalttätigen Ausschreitungen in islamischen Ländern zog das Blatt die Geschichte zurück. Die FBI-Dokumente würden allerdings belegen, dass die US-Regierung frühzeitig über erniedrigendes Verhalten gegenüber Muslimen informiert war, dieses jedoch lange ignorierte.

Das Pentagon hat alle Aussagen der Häftlinge als unglaubhaft abgewiesen. Es verweist zudem darauf, dass die zuständigen Wächter seit Anfang 2003 detailliert über den Umgang mit religiösen Praktiken von Muslimen unterrichtet werden. Der unbefriedigende Zustand von Vorwürfen und Dementis wird jedoch anhalten, solange es keine unabhängigen Untersuchungen in US-Internierungslagern gibt. MICHAEL STRECK