Landtagswahl in Sachsen: Mit Antifaschismus punkten

Die Grünen wollen in Sachsen weiterregieren. Dafür müssen sie es aber in den Landtag schaffen. Unterwegs mit Spitzenkandidatin Katja Meier.

Foto: Christoph Busse

LEIPZIG taz | Das Publikum klatscht kurz, als Katja Meier, die Spitzenkandidatin der Grünen, auf der Bühne beim Wahl­forum in Dresden sagt: „Ich will, dass sich die Menschen in Sachsen sicher fühlen, und die größte Herausforderung ist hierbei der Rechtsextremismus.“ Es ist Donnerstagabend Anfang August und die großen Regionalzeitungen in Sachsen haben Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen der Parteien auf die Bühne gebeten.

Nach anderthalb Stunden Rampenlicht sollen nun alle in 60 Sekunden ihre Position zur inneren Sicherheit in Sachsen darlegen. Auffällig: Es geht um Polizei, Migration, Überwachungskameras – aber nur Katja Meier nennt den Rechtsextremismus beim Namen. Später sagt sie: „Das hat mich auch überrascht.“ Zumindest von den Linken habe sie das erwartet.

Katja Meier ist seit fast fünf Jahren Sachsens Ministerin für Justiz, Demokratie, Gleichstellung und Europa. Es passt, dass sie nun als eine von drei Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen der Grünen das Thema anspricht. Es ist eins der zentralen Themen, mit denen die Grünen um Stimmen für die Landtagswahl am 1. September werben. Schwerpunkte in ihrem Wahlkampf sind auch Bildung und Wirtschaft. Derzeit stehen sie in den Umfragen bei sechs Prozent.

Aber welches Wahlergebnis wünscht sich Meier? „Dass wir weiter in der Koalition regieren können, um uns dabei für den Klimaschutz und den Kampf gegen Rechtsextremismus einzusetzen“, sagt sie. Also weiter mit CDU und SPD, obwohl dort vor allem Konflikte die vergangenen Monate prägten.

Schwierige Koalition

Seit dem 20. Dezember 2019 regieren die drei Parteien in Sachsen. Spätestens seit der Bundestagswahl zwei Jahre später kritisiert CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer eigentlich niemanden lieber als die Grünen – ob in Sachsen oder in der Bundesregierung. Sie seien ideologisch, hätten die Wirtschaft nicht im Blick, die Koalition im Freistaat mit ihnen sei schwierig. Nach der Wahl würde Kretschmer lieber ohne sie regieren.

Jetzt, im Wahlkampf, kritisiert Katja Meier wacker zurück: den Politikstil der CDU, wie die Konservativen das Thema Migration nutzen und dass sie in den vergangenen 34 Jahren als Regierungspartei in Sachsen versäumt hätten, den Menschen die Demokratie näherzubringen. Warum will sie dann weiter mit Kretschmer regieren? „Trotz der Querelen konnten wir viel für Klimaschutz, Gleichstellung und Bildung durchsetzen“, erklärt Meier. Und was sie nun angefangen habe, wolle sie auch zu Ende bringen.

Gleichzeitig kam im ersten Halbjahr 2024 nur ein einziges Windrad in Sachsen hinzu. Anfang des Jahres scheiterte die Verfassungsreform der Koalitionsparteien, mit der unter anderem Klimaschutz in Sachsen gesichert werden sollte. In den vergangenen Wochen demonstrierten Neonazis in Sachsen selbstbewusst und zahlreich wie lange nicht.

Doch das zeige nur, wie notwendig eine demokratische Regierung sei, an der sich die Grünen beteiligen. „Ohne uns würde es viele Maßnahmen wie die Förderung der Zivilgesellschaft nicht mehr geben“, glaubt Meier.

Im Osten geprägt

Dass sie mal in Sachsen Regierungsverantwortung übernehmen würde, hätte sich Katja Meier als Teenager noch nicht vorstellen können. „Ich bin in Zwickau aufgewachsen – Baseballschlägerjahre –, das hat mich politisiert.“ Sie war zwölf Jahre alt, als bis zu 500 Menschen Unterkünfte von Geflüchteten und Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen im sächsischen Hoyerswerda angriffen. Unter anderem das machte sie zu einem politischen Menschen, so erzählt es Meier heute. Aber auch andere Erlebnisse, die viele Teenager nach der Wende machten, prägten Meier. „Einer meiner Eltern war immer arbeitslos.“

Als Justizministerin und Spitzenkandidatin macht Meier aktuell zwei Jobs. Meist hat sie erst abends Zeit für Podiumsdiskussionen oder Wahlkampftermine. So auch an einem Mittwochabend Anfang August im Leipziger Osten. Meier begleitet die dortige grüne Direktkandidatin Christin Melcher zur Redaktion des „Female Explorer“, einem Reisemagazin für Frauen.

Auf dem Holztisch stehen Nüsse und Datteln, an den Wänden hängen die Cover früherer Ausgaben. Nicole Barth und Leonore Herzog, die beiden Gründerinnen des Reisemagazins, erzählen, wie „Female Explorer“ von einer spontanen Idee zur GmbH in Leipzig wurde. Mittlerweile sind sie bei Heft Nummer acht. Es ist allerdings die letzte gedruckte Ausgabe, zukünftig erscheint „Female Explorer“ nur noch in der App.

Meier, als ­Ministerin auch für ­Gleichberechtigung verantwortlich, interessiert sich vor allem die Perspektive auf die Frauen als Gründerinnen. Was brauchen die? „Business und Mutter, das ist schon eine krasse Doppel­belastung. Mehr Unterstützung wäre hilfreich“, sagt Herzog. Das will sich Meier nochmal anschauen. „Wichtig ist, dass wir ein Netzwerk unterstützen, in dem sich Frauen gegenseitig unter die Arme greifen“, sagt sie. „Da rennen Sie bei uns offene Türen ein“, antwortet Nicole Berth und alle vier Frauen am Tisch lachen.

Ferne 16 Prozent

Junge Frauen gehören für die Grünen auch in Sachsen zu den wichtigsten Wähler:innen. Keine andere Partei bekam bei der Landtagswahl 2019 so viele Stimmen von Frauen zwischen 18 und 25 Jahren. Damals sah es allerdings auch vor der Wahl besser für die Grünen aus. In den Umfragen standen sie zweistellig bei bis zu 16 Prozent. Am Ende bekamen sie 8,6 Prozent der Stimmen, immerhin noch das beste grüne Ergebnis in Sachsen.

Derzeit bekommt der sächsische Landesverband zwar stetig neue Mitglieder – zum ersten Mal hat er seit diesem Jahr mehr als 4.000 – doch die Umfragewerte und Wahlergebnisse bleiben bei 6 Prozent. So war es auch bei der Europawahl im Juni. Schon dafür warben die Grünen auffällig mit den Themen Demokratie und Antifaschismus. Kann es sein, dass das in Sachsen eher Stimmen kostet als bringt?

Katja Meier stutzt bei der Frage. „Das sehe ich so nicht“, antwortet sie der taz und denkt beim Sprechen nach. Also ja, im Wahlkampf höre sie schon mal Sprüche. „Sie mit Ihrer Demokratie, was soll denn das überhaupt sein?“, heiße es dann. „Da merkt man, dass es brodelt.“ Sie versuche, den Begriff breit mit Themen zu füllen. „Demokratie, das heißt für mich, ­Kinder und Jugendliche politisch beteiligen, Zivilgesellschaft stärken oder Frauen vor Gewalt schützen.“

Aus dem Europa- und Kommunalwahlkampf habe die grüne Partei in Sachsen gelernt, mehr auf die Probleme einzugehen, die sich landespolitisch lösen lassen. Doch immer wieder geht es im Wahlkampf auch um bundespolitische Themen. Nach dem Austausch bei „Female Explorer“ ziehen Meier und Melcher weiter in den nahegelegenen Lene-Voigt-Park.

Tisch-Tennis statt Talk Show

Sie wollen Tischtennis spielen, um dabei mit Wäh­le­r:in­nen ins Gespräch zu kommen. „Bei Podiumsdiskussionen kommen nicht mehr viele“, erklärt Meier. Aber an diesem schwülen Abend ist auch im Park in Leipzig nicht mehr viel los. Meier und Melcher spielen zunächst eine Runde für sich allein.

Insgesamt sei die Stimmung an den Wahlkampfständen unterschiedlich, berichtet Meier. Manche kämen interessiert und erfreut auf die Grünen zu. Andere seien eher weniger begeistert: „Da standen wir in Dresden am Wahlkampfstand, als ein Auto vorbeifuhr und wir aus dem offenen Fenster angepöbelt wurden.“

Kritik entbrenne oft an Bundes­themen: Ukraine, Kriegstreiber, Heizungsgesetz. „Da versuchen wir die Dinge einzuordnen. Wir wollen einen Frieden in Sicherheit in der Ukraine“, sagt Meier. „Wenn sich Michael Kretschmer etwa hinstellt und behauptet, die Energiewende sei gescheitert, dann ist das die Energiewende, die CDU und SPD versucht haben umzusetzen.“

Dass die Kommunikation der Ampelkoalition hätte besser laufen können, da seien sich alle einig. Insgesamt sei die Kritik an den Grünen in der Bundesregierung aber unehrlich, findet Meier. Die CDU war 16 Jahre in der Verantwortung. Die Ampel noch nicht mal drei.

Im Lene-Voigt-Park dunkelt es schon, als Meier und ihr Team um 21 Uhr die Tischtennisplatte zusammenklappen. Es geht zurück nach Dresden, wo aktuell, zumindest das ist sicher, noch CDU, SPD und Grüne regieren.

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