kunstraum
: Im neuen Bildsystem

Özlem Altın, „Teeth, Jaw, Anchor“, 2024 Foto: © Özlem Altın und THE PILL ®; dotgain.info

Durch leuchtendrote Folien blickt man in die Ausstellung. Sie lassen diese selbst wie eine große, begehbare Collage erscheinen, tauchen alles, was da hängt, in rötlichen Schimmer, verstärkt noch durch die Lichtquellen, fast so, als würde man durch Hautschichten hindurchsehen. Wohin? In die Bildwelt von Özlem Altın, geboren 1977 im nordrhein-westfälischen Goch, die in diesem Jahr den Hannah-Höch-Förderpreis erhalten hat und deshalb in der Berlinischen Galerie eine Einzelausstellung präsentiert. Die ästhetische Nähe zur Dada-Künstlerin – von der bis vor Kurzem noch ein paar kleine Collagen am Eingang der Ausstellung von Kader Attia ausgestellt waren – ist unübersehbar. „Prisma“ heißt die Schau, zu der auch ein Katalog erschienen ist.

Als Ausgangsmaterial dient der Künstlerin ein Fotoarchiv, das sie seit über zwei Jahrzehnten anfüttert. Abbildungen von menschlichen Körpern und Körperteilen finden sich da, Hände, Augen, Zähne. Auch Fotografien von Skulpturen, die Körper darstellen, oder Tiere wie Schlangen, Schmetterlinge, Amphibien, Vögel. Altın findet sie in Büchern, Zeitschriften, dem Internet. Für ihre Arbeiten, die sie in der BG mal an die Wand, mal im Raum von der Decke hängen lässt, ordnet sie diese Fotoschnipsel meist auf Papier zu komplexen Kompositionen an, collagiert und übermalt sie. An Kartografien könnte man denken. Schwer lesbare Zeichen- und Bildsysteme sind es, reich an Symbolen, Assoziationen und Andeutungen, mit denen Altın die ganz essentiellen Themen des Daseins durchspielt: Geburt und Mutterschaft, Vereinigung und Trennung, Tod und Trauer. Selbst die schwarz-weißen, großformatigen­ Fotografien, die ohne Übermalungen auskommen, werfen Fragen auf: Menschliche Körper sieht man da durchs Wasser gleiten oder ineinander verschlungen daliegen, verheddert in Kleidungsstücken.

Die Zyklen des Lebens spielt eine langgezogene Papierarbeit an der Rückwand durch: „Topograhy (of time, of body)“. Wie mit einer Nabelschnur scheinen die Elemente dort miteinander verbunden zu sein, die Schlange mit bedrohlich aufgerissenem Maul, die korallenartigen Strukturen in DNA-Form, der schwangere Bauch einer Frau, die knüpfenden Hände, das Vogelnest, die beiden Reiher. Wie sich daraus, wie aus den Teilen und dem Gefüge hier wie in den anderen Arbeiten eine Erzählung oder Bedeutung ergibt, es bleibt den Be­trach­te­r*in­nen überlassen. Beate Scheder

Özlem Altın: Prisma. Berlinische Galerie, bis 14. Oktober, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, Alte Jakobstraße 124–128