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berliner szenenElternfreie Zone als Prinzip

Viele hundert Kinder und Erwachsene stehen unverdrossen an einem Sonntag im August in den alten Gemäuern der Zitadelle Spandau. Das Konzert der Kinderband „Deine Freunde“ findet mitten in den Schulferien statt, inmitten der langsamsten Tage Berlins, bei gefühlten 30 Grad. Lukas Nimscheck, mit 36 der jüngste der drei HipHopper, ruft bald durchs Mikro: „Ihr könntet im Freibad sein, ihr könntet im Urlaub sein, aber ihr seid hier!“ Zum „Jaa!“ werden Hunderte Ärmchen in die Luft gestreckt. Alle ein türkisfarbenes Band ums Handgelenk, darauf die Handynummer eines Elternteils.

Eigentlich fand ich es weniger toll, dass mein Kind in die „elternfreie Zone“ geht, ein weitläufig abgesperrter Bereich direkt vor der Bühne. Ich wollte doch die wilden Hüpfer sehen. Wie beim Tophit, wo vom Obstteller der Eltern gesungen wird, von den Vitaminen, und dann das ekstatische Gebrülle: „Oma gibt mir Schokolade!“. Aber außerhalb der Zone brüllen die Eltern ebenso ekstatisch.

Mit dem Lied „Schokolade“ begann die Band vor 13 Jahren. Jetzt füllt sie nicht nur die Zitadelle mit Kindern. Der Erwachsenenbereich ist fast doppelt so groß und voll. „Elternfreie Zone“ ermöglicht die Sicht für die Kleinen dieser Welt. Sie schützt aber auch vor den Hüpfern der Großen. Bei Liedern wie „Wieder deine Freunde“ wird im Tonfall der Eltern nach der „Botschaft“ gefragt, der Zeigefinger nachgeahmt, der an eine Welt erinnert, wo die Oma nicht nur „Schokoladenschubladen bedeutet“. Mütter, Väter, Tanten, johlen.

Elternfreie Zone wird womöglich noch zum Prinzip. So was passiert, wenn Kinderbands anfangen, Metaebenen einzubauen. Wir woken Berlineltern finden die eigenen Argumente wieder – und lernen, andere vor uns selbst zu schützen. Nun ja, August in Berlin, die Gedanken gehen ebenfalls Meta.

Charlotte Misselwitz

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