die dritte meinung
: Warum Indien? Drei Gründe stechen bei sexualisierter Gewalt heraus, sagt Britta Petersen

Warum Indien? Diese Frage stellt sich wieder einmal, seit letzte Woche eine junge Ärztin in der Ausbildung an ihrem Arbeitsplatz vergewaltigt und ermordet wurde. Landesweite Demonstrationen, Sit-ins und Streiks des medizinischen Personals sind die Reaktion.

Doch genauso groß wie der Aufschrei ist die Frustration, denn für indische Frauen ist die Tat ein Déjà-vu. 12 Jahre ist es her, dass in Neu-Del­hi Jyothi Singh auf bestialische Weise in einem Bus vergewaltigt und getötet wurde. „Für Frauen hat sich überhaupt nichts geändert“, sagt heute ihre Mutter Asha Devi. Jeden Tag werden 90 Vergewaltigungen angezeigt. Die wahre Zahl dürfte weit höher liegen. Aber warum ist das so? Drei Gründe stechen heraus.

Erstens ist Indien nach wie vor ein sehr konservatives Land, in dem unter der Hindu-Mehrheit das Frauen-Ideal von Sita geprägt ist, der Heldin aus dem Nationalepos Ramayana, die sich für ihren Mann Rama aufopfert. Bekannt ist die Geschichte des Kreidekreises, den ihr Schwager zu ihrer Sicherheit um sie zieht und den sie nicht verlassen sollte. Als sie es dennoch tut, wird sie prompt entführt. Auch heute noch dient diese Geschichte als Rechtfertigung, Frauen die Schuld zu geben, wenn ihnen außer Haus etwas zustößt. Die Zahl der berufstätigen Frauen ist in den vergangenen 20 Jahren trotz der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgegangen.

Zweitens ist die indische Justiz hoffnungslos überlastet und dyfunktional. Gerichtsprozesse ziehen sich jahrelang hin und viele werden nie entschieden. Vor konservativen Polizisten und Richtern ist eine Anzeige wegen Vergewaltigung oft ein Spießrutenlauf.

Drittens ist trotz weiblicher Vorbilder wie der Ex-Premierministerin Indira Gandhi die Frauenquote in der Politik niedrig. Nur knapp unter 15 Prozent der Par­la­men­ta­rie­r*in­nen sind weiblich. Sogar in Bangladesch (21 Prozent) und Pakistan (20 Prozent) sind es mehr. Politik ist ein Macho-Geschäft und das Interesse an fortschrittlichen Gesetzen gering.

Britta Petersen

leitet das Südasien-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Neu-Delhi.

Die Frauen in Indien haben daher noch einen langen Kampf gegen sexualisierte Gewalt vor sich.