Freie-Wähler Wahlkampf in Bernau: La Vida Loca

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg bangen die Freien Wähler um den Wiedereinzug in den Landtag. In Bernau kämpfen sie um das Direktmandat.

Die Grünen seien eine „Spaßpartei“ und „verteufeln Fleisch, aber erlauben Drogen“ Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

BERNAU taz | Mit „Oweia, do brauch mo nächst mal fast a größere Holle“ (Da brauchen wir nächstes Mal fast eine größere Halle), begrüßt der bayrische Wirtschaftsminister und Bundesvorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, am Mittwochabend sein Publikum im Ofenhaus im brandenburgischen Bernau. Der Vize-Staatspräsident von Bayern stand vergangenes Jahr im August noch wegen antisemitischer Flugblätter, die er in seiner Jugend verfasst haben soll, in der Kritik. Vielleicht war es auch sein Bruder. Niemand mag sich erinnern, auch im prall gefüllten Saal nicht. Dort wird der umtriebige Minister, der sich volksnah wie eh und je gibt, mit Standig Ovations empfangen.

Aiwanger ist nach Bernau gekommen, weil Brandenburg nicht Bayern ist. Zumindest, was den Wahlerfolg der Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler betrifft. In Brandenburg sieht es für die BVB/Freie Wähler kurz vor der Landtagswahl am 22. September nämlich nicht so gut aus.

Eine aktuelle Umfrage des Insa-Instituts sehen die BVB/Freien Wähler bei 4 Prozent. Doch wie bereits 2019 scheint die Wählervereinigung auf ein Direktmandat ihres Aushängeschilds und Landesvorsitzenden Péter Vida in Bernau zu setzen: Die 5-Prozent-Hürde wäre so aufgehoben und die Freien Wähler könnten in den Landtag einziehen. Bereits seit 2014 sitzt Vida für die Freien Wähler im Brandenburger Landtag; 2019 gewann er das erste Mal ein Direktmandat. Damit das so bleibt, hängt sein Gesicht derzeit an jedem Bernauer Laternenpfahl.

Immer mit darauf ist eine Orange, die fast schon eine staatstragende Rolle zu spielen scheint. Am Eingang des Ofenhauses wird dies eindrücklich mit einer übergroßen aufblasbaren Nachbildung der Zitrusfrucht demonstriert. Im Innenraum geht es weiter: orange Hemden, Orangenfrüchte und Orangensaft, Schilder in Orangenformat mit der Aufschrift „Wählt Orange“ auf den Tischen. Dass die Orange für die Freien Wähler in Brandenburg mehr als ein Symbol ist, nämlich ihr politisches Programm, macht Vida in seiner Rede deutlich. „Orange rein, Grün raus“ ist sein Ziel bei der anstehenden Landtagswahl. An „grüner Ideologie“ wird sich nach Vida auch Aiwanger abarbeiten.

Vida führt in eigenen Umfragen

Die ausgestrahlte Siegeszuversicht des Landtagsabgeordneten Vida speist sich aus einer von den brandenburgischen Freien Wählern selbst in Auftrag gegebenen Umfrage für Bernau und Panketal. Dort führt Vida mit 29 Prozent, dicht gefolgt vom Kandidaten der AfD. Das scheint den Politiker und Rechtsanwalt jedoch kaum zu beunruhigen. Denn „das drängendste Problem in unserem Land sind die Grünen“.

Heizungsgesetz, Wärmepumpe und Windräder seien eine Zumutung für den Bürger und die Grünen ein „Wolf im Koboldsspelz“. Dem Orangen-Politiker Vida gehe es hingegen darum, „den ehrenhaften und rechtschaffenen Bürgern wieder eine Stimme zu geben“. Weder Rechtspopulismus noch Linkspopulismus sei dafür das Mittel der Wahl: „Lasst uns Mitte-Populisten sein“, agitiert der Bernauer Politiker die Menge.

Auch „Leistung“ müsse sich „wieder lohnen“ und aus den „Fesseln der Bürokratie gelöst werden“. Würdigt man Fleiß, dann brauche es kein Bürgergeld, erklärt Vida und wirbt für ein Revival „preußischer Tugenden“. Von Preußen geht es dann endlich nach Bayern. Und zwar bei den Forderungen für die Bildungspolitik in Brandenburg: „Zu einer guten Bildung gehört eine gute Sprache. Da müssen wir uns ein Beispiel an Bayern nehmen und fordern ein Verbot der Gendersprache!“

Ehrengast Aiwanger, der laut Ankündigung von Vida „die bayrische Aristokratie in die Knie gezwungen hat“, freut sich über diese Würdigung und betritt die Bühne, um seinem Kollegen zum Wahlsieg zu verhelfen. Nach Witzeleien über die „mageren Kiefern in Brandenburg“ und was das Land neben der Einführung eines Genderverbots sonst noch von Bayern lernen könnte, wettert Aiwanger in seiner fast einstündigen Rede gegen so ziemlich alles: die Ampelregierung, Geflüchtete und das Selbstbestimmungsgesetz.

Freie Wähler machen Grünen-Bashing

Die Grünen seien eine „Spaßpartei“ und „verteufeln Fleisch, aber erlauben Drogen“. Ersteres sei wohl gesünder. Auch die Bundesregierung ist für ihn ein „Witz“. Er würde der Ampel nicht mal seinen Hund zum Aufpassen oder Füttern geben. Beim Thema innere Sicherheit wirbt er für mehr Law and Order und sieht diese vor allem durch „illegale Migration“ bedroht. An sich habe er nichts gegen Ausländer, aber, „die, die bei uns frech werden, gehören heimgeschickt“. Auch tolerant sei er, aber im Selbstbestimmungsgesetz sieht er eine Gefahr für „die Jugend“. Natürlich ist auch das nach Aiwanger „Teil einer grünen Ideologie, die die Gesellschaft durcheinanderbringen will.“

Wenn es um konkrete politische Lösungen im Sinne des „kleinen Mannes“ geht, hat der Freie-Wähler-Frontmann kreative Ideen. Zum Beispiel fordert er, dass arbeitsfähige Menschen kein Bürgergeld erhalten sollen. Dafür sollten Rentner 2.000Euro Nebeneinkünfte erwirtschaften dürfen, ohne Steuern zahlen zu müssen. Damit könne man sie im Arbeitsleben halten und dem Fachkräftemangel entgegentreten. Im Rest seiner Rede setzt der bayrische Wirtschaftsminister sich wie auch sein Vorredner Vida passioniert gegen „Leistungsfeindlichkeit“ ein.

Mit einem „Gott beschütze Euch“, schließt Aiwanger seine Ansprache und wieder erheben sich die Gäste im Bernauer Ofenhaus. Nur noch die allgegenwärtige Orange verweist nach diesem Abend darauf, dass das, was einem ausgelassenen Stammtisch im Wirtshaus glich, eine Wahlkampfveranstaltung für den „gesunden Menschenverstand“ in Brandenburg – so die Devise der Freien Wähler – war.

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