orte des wissens
: Eine hoch engagierte Wissenschaft

Sie üben den Dialog bis in die Hip-Hop-Szene hinein: die Mitarbeitenden an Hannovers Forschungsinstitut für Philosophie

Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (FIPH) ist winzig: Sein Team ist fünfköpfig, hinzu kommt eine Handvoll GastwissenschaftlerInnen. Umso weltumspannender ist sein Ziel: Es geht um zentrale Probleme der Gegenwart, von der Klimakrise über künstliche Intelligenz bis zur Kernenergie, von Erinnerungskultur über Tierschutz bis zu Polizeigewalt. Es geht um Werte und Normen unseres Handelns, um praktische Philosophie, die Besserung der Gesellschaft. Interdisziplinarität weitet dabei den Blick, von der Soziologie bis zur Biologie, von der Politikwissenschaft bis zur Pädagogik.

Klingt elitär, nach hoher Hemmschwelle. Aber das täuscht. „Wir sind keine Forschungsinsel“, sagt Theologie-Professor Jürgen Manemann der taz, der Direktor des FIPH. „Wir sitzen hier nicht den ganzen Tag nur an unseren Schreibtischen und lesen.“ Es reiche nicht, Wissen zu generieren, zu kommunizieren. „Wir verstehen Philosophie als eine engagierte Wissenschaft“, ein Mittel zur Sensibilisierung, zur Transformation. „Was derzeit mit unserer Mitwelt geschieht, ist dramatisch. Da kann ich nicht nur zuschauen, ich muss rettend eingreifen.“ Philosophie könne nicht nur „aktivierend“ sein, ein Beitrag zum Self-Empowerment, sondern auch „aktivistisch“, eine symbolhaft-appellative Intervention.

Das FIPH, 1988 eröffnet, ist eine gemeinnützige kirchliche Stiftung. Es lasse sich „inspirieren durch die besten christlichen, insbesondere katholischen Traditionen“, betont es in einem „Institutsprofil“, das auf seiner Website steht. Ein „katholischer Think-Tank“ sei das FIPH allerdings nicht, betont Manemann. Es sei „völlig frei“.

Beste christliche Traditionen? Auf seiner teils betagten Website hat das FIPH bis vor wenigen Tagen seinen Gründer, Josef Homeyer, bis 2004 Bischof von Hildesheim, als „inspirierenden Weggefährten“ bezeichnet. Was man dazu wissen muss: Homeyer hat Jesuiten-Patres gedeckt, die sich der sexuellen Gewalt schuldig gemacht hatten.

Manemann, durch die taz auf den Website-Passus aufmerksam gemacht, ist fassungslos, spürbar geschockt. Er handelt vorbildlich: Viertelstunden später ist das Homeyer-Lob verschwunden. Jetzt steht dort, der heutige Bischof Heiner Wilmer habe zu Recht Bischof Homeyers Umgang mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch als „eine Katastrophe“ bezeichnet.

Es gehe im FIPH nicht nur um Fach-, sondern auch um Lebensphilosophie. „Menschen konfrontieren uns mit Fragen“, sagt Manemann, „und wenn diese Fragen gesamtgesellschaftliche Relevanz haben, greifen wir sie auf.“ Aber nicht so, dass „wir aus einem angelesenen Fundus an Wissen lediglich Fragen beantworten“. Zentral sei das beiderseitige Philosophieren.

Das FIPH berät Wirtschaft und Politik. Aber zugleich legt es Wert auf Offenheit, auf Zugänglichkeit. Es richtet Veranstaltungen aus, Mitte September etwa einen Workshop über Sterbepolitik. Es stellt seinen Vortragssaal zivilgesellschaftlichen AkteurInnen zur Verfügung. Aber noch ist das Publikum eher akademisch.

Da hilft es vielleicht, dass das FIPH auch mit Hip-HopperInnen zusammenarbeitet. „Sie können gut Dinge auf den Punkt bringen, produktiv provozieren“, sagt Manemann, der anfangs skeptisch war. „Wir haben damals einfach deren Manager angeschrieben. Coole Idee, hieß es sofort. Dann haben wir dreieinhalb Stunden auf der Bühne gestanden und miteinander philosophiert.“

Philosophie als Mittel zur Sensibilisierung und zur gesellschaftlichen Transformation

Und dann sagt Manemann, wie wichtig ziviler Ungehorsam ist, indem man dem Rad in die Speichen greift, zum Innehalten aufruft, zur Bewusstwerdung. Und dass man statt Straßen besser Plätze blockiert, weil das keine Abwehr schafft, sondern Raum zum Gespräch.

Harff-Peter Schönherr