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Mit eiskalten Nerven

Nachträglich vereint: Zwei Ausstellungen – in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und im Willy-Brandt-Haus – erinnern an Frauen im NS-Widerstand. Ein Anfang, ihrer in Zukunft auch dauerhaft zu gedenken?

Die Collage von Claudia Balsters und Hannah Goldstein erinnert an 11 Frauen im Widerstand: „Das Gewissen steht auf“ und „Das Gewissen entscheidet“ Foto: Claudia Balsters und Hannah Goldstein, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus

Von Katja Kollmann

Hildegard Loewy hat ihren Schal fest umgebunden und lächelt zart. Die Kamera hält Augenblicke eines winterlichen Parkspaziergangs in Berlin fest. Loewy ist 19, mit der Offenheit eines Kindes blickt sie ihr Gegenüber an. Zurzeit kann man dieses berührende Bild an vielen U-Bahnhöfen der Stadt finden. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand bewirbt mit dieser Fotografie in Plakatgröße die Ausstellung „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Im U-Bahnhof Kurfürstendamm hängt sogar ein Plakat-Trio. Es sieht so aus, als wären Hildegard Loewy, Erika von Tresckow und Marlene Dietrich im stillen Gespräch miteinander, während an ihnen die Züge vorbeidonnern. An der Stauffenbergstraße verdecken 22 Frauenporträts die Fenster der Gedenkstätte. Hinter einem hatte Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Juli 1944 sein Büro.

Gut 200 Frauen haben es auf die Fototapete im ersten Stock geschafft, über 300 in die Online-Datenbank der Ausstellung. 32 werden klassisch analog vorgestellt. Darunter Hildegard Loewy, Erika von Tresckow und Marlene Dietrich. Was in der Ausstellung nicht sichtbar, aber aufgrund eines immensen Forschungsdefizits im Bezug auf die Widerstandstätigkeit von Frauen in der NS-Zeit eminent wichtig ist: die grundlegende Recherche des Kuratorinnen-Teams nach widerständigen Frauen zwischen 1933 und 1945. Über 5500 sind nun in einer speziellen Datenbank erfasst. Möglich wurde dieses Forschungsprojekt durch einen Beschluss des Bundestags im Jahr 2019. Unfassbar spät bzw. endlich, ist der einzige Kommentar, der einem dazu einfällt.

In der Ausstellung wird Hildegard Loewys Winterfoto von der Kopie eines roten Plakats vom 10. Dezember 1942 flankiert. Die „Bekanntmachung“ informiert darüber, dass neun junge Regimegegner*innen, unter ihnen Loewy, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurden. Daneben ist ein Foto aus dem Jahr 1940 zu sehen: Hildegard Loewy in der vorletzten Abiturklasse der privaten Oberschule der Jüdischen Gemeinde in der Wilsnacker Straße in Moabit. Bald darauf beteiligt sie sich an Flugblattaktionen. Später unterstützt sie die Aktivitäten der kommunistisch-zionistischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum und Heinz Joachim und wendet sich damit gegen die antisowjetische Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies“. Die Gruppe wird von der Gestapo enttarnt.

Erika von Tresckow überlebt die NS-Zeit. In der Ausstellung wird aus ihren Erinnerungen zitiert: „Die Schreibmaschine stand kaum mehr still.“ Seit April 1943 weiß sie von Attentatsplänen gegen Adolf Hitler, in die ihr Ehemann Henning eingebunden ist. Mit ihrer Jugendfreundin Margarete von Oven hämmert sie die Walküre-Befehle, die nach Hitlers Tod den Umsturz einleiten sollen, in die Schreibmaschine. Beide werden nach dem gescheiterten Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet und spielen mit eiskalten Nerven das dumme Frauchen. Eine Rolle, die ihnen die Gestapo abnimmt. Marlene Dietrich performt zur selben Zeit vor US-Soldaten in Italien und kommentiert auf dem ausgestellten Foto fröhlich: „Die beste Bühne aller Zeiten!“

Die Freundinnen hämmern die Walküre-Befehle, die nach Hitlers Tod den Umsturz einleiten sollen, in die Schreibmaschine

Zwei Kilometer Luftlinie entfernt im Willy-Brandt-Haus erinnert eine Collage aus elf Schwarz-Weiss-Porträts an Frauen im Widerstand. Die Künstlerinnen Claudia Balsters und Hannah Goldstein haben in Annedore Lebers frühem Kompendium des deutschen Widerstands (verlegt in den 50er Jahren) geblättert und unter den 130 Porträtierten elf Frauen entdeckt, die sie nachträglich vereinen. Die Widerstandskämpferin Annedore Leber, die ihren Mann Julius 1937 aus dem KZ heraus geboxt hat, porträtiert sich in ihrem zweibändigen Werk nicht selbst, sondern ihren Mann, der als Sozialdemokrat und bekannter Nazi-Gegner schon im Februar 1933 verhaftet wird und während des Krieges zum Bendlerblock-Netzwerk stößt. Leber erinnert auch an vom NS-Regime ermordete Frauen wie die Journalistin Hilda Monte, die auch an der Stauffenbergstraße zu den 32 Ausgewählten gehört.

Die Ausstellung „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ wird wandern. In der Dauerausstellung wartet eine Fotogalerie von 216 Männern auf eine Korrektur. In der Darstellung des Thinktanks, der sich um die umsturzbereiten Militärs formiert hatte, kommen Frauen wie Erika von Tresckow und Annedore Leber bis heute nicht vor. Die Sozialdemokratin Käthe Kern, die aktiv im Umfeld des 20. Juli agierte, hat es schon mal bis in die Wanderausstellung geschafft. Wann bekommen die drei ihren Platz in der Fotogalerie?

„Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, bis 3. November

„Nicht sie allein – Frauen im Widerstand“: Willy-Brandt-Haus, bis 8. September

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