„Es war immer ein tolles Familienfest“

20 Jahre lang hat Rico Klose das Reggae-Festival Weedbeat in Rössing bei Hildesheim organisiert. Nun hört er auf. Ein Gespräch über Arbeitsbelastung, kulturelle Aneignung und natürlich auch Kiffen

„Das hat schon Ambiente“: Weedbeat-Macher Rico Klose am Ort des Geschehens, vor dem Speicher in Rössing

Interview Robert Matthies
Foto Christian Wyrwa

taz: Herr Klose, nach 20 Jahren ist erst mal Schluss mit Weedbeat in Rössing, obwohl das Reggae-Festival zwar klein, aber sehr beliebt war. Ende Juli fand es das letzte Mal statt. Wie fühlt sich das an?

Rico Klose: Es war großartig und hat wieder mal unheimlich viel Spaß gemacht. Aber obwohl man sehr viel positive Energie aufgefangen hat, verbraucht es doch mehr als gedacht. Kurz gesagt: Es ist auch ein befreiendes Gefühl. Ich mache das wirklich aus Leidenschaft. Aber man kriegt immer wieder Steine in den Weg gerollt, über die man klettern muss.

taz: Welche denn?

Klose: Man wird nicht so wertgeschätzt, wie man sich das wünscht, plötzlich wird man von der Förderung vergessen und man muss wieder los und noch schnell einen Sponsor besorgen. Und diese drei Tage, das ist schon anstrengend. Es geht ja schon Donnerstag los, am Abend stehen die Bühnen und die ersten Künstler kommen und die Händler, und man hat richtig zu tun. Und dann kommt das harte Wochenende, wo es bis spät in die Nacht geht. Und ich bin immer der Erste, der verletzt ist. Ich mache jetzt erst mal eine Kreativpause.

taz: Man wird ja auch nicht jünger.

Klose: Nein, ich bin jetzt Mitte 50 und das merkst du dann schon.

taz: Und wie war das damals, mit Ende 20? Was hat Sie an Reggae begeistert?

Klose: Es war einfach ein cooles Feeling mit den Leuten, auch mit den Künstlern. Die waren alle so offen. Nach den Konzerten war nicht Schluss, sondern die kamen noch mal vor die Bühne und man hat gequatscht. Und es hat dieses Friedliche und Familiäre. Ich hab früher Punk gemacht und da gab es öfter mal auf die Fresse. Das gab es beim Reggae nie. Auch von den Besuchern gab es immer viel Offenheit. Deswegen habe ich gesagt, ich würde auch gerne so ein Reggae-Ding machen.

taz: Wie ging es dann weiter?

Klose: Damals, 2004, kam das nichtkommerzielle Bürgerradio Radio Tonkuhle nach Hildesheim. Da habe ich mich als Musikredakteur beworben und bin dadurch noch besser in die Szene reingerutscht und habe Kontakte zu Künstlern bekommen. In Hannover ging es zu dieser Zeit mit Benjie und seinem Song „Ganja Smoka“ mit deutschem Reggae los, mit Gentleman und Co, der hatte damals hier noch vor 60 Leuten gespielt. Die habe ich dann auch kennengelernt.

taz: Und wie ist daraus das Weedbeat-Festival entstanden?

Klose: In Hildesheim hatte es schon vor den 2000ern einen Club gegeben, das Vier Linden. Da passten 600 Leute rein. Da haben auch die großen Reggae-Stars gespielt. Wir sind dort regelmäßig hingegangen. Aber das ist mit dem Club eingeschlafen. Wir mussten dann immer zum Summerjam, eines der größten Reggae-Festivals in Europa. Das ist dreimal umgezogen, erst war es auf der Loreley, dann habe sie es mal auf einem Militärflugplatz gemacht, bevor sie nach Köln gegangen sind. Irgendwann habe ich dann den Entschluss gefasst: Etwas Kleines kriegen wir doch hier auch hin! Wir haben eine schöne Landschaft, und wir haben hier Kiesteiche, man kann am See campen. Und das hat dann auch so funktioniert.

taz: Wie war das erste Mal?

Klose: Ich bin zum Speicher in Rössing gegangen, einem Club, in dem ich vorher nie war, da gab es überwiegend so Oldie-Parties und Dorfdisko. Ich habe den Betreiber gefragt: Hast du nicht Interesse, hier mal eine Reggae-Party zu machen? Du hast ein schönes Gelände. Das ist so ein alter Kornspeicher, total geil, oben sind noch die Holzbalken und das hat schon Ambiente. Damals lagen auch Pläne aus, dass der Kiesabbau bis zum Speicher weitergeführt wird. Und ich habe gesagt: Dann fangen wir doch hier an, und der See kommt zu uns. So weit ist es dann nicht gekommen, die Leute müssen heute leider vom Campingplatz noch ein bisschen latschen. Aber der Campingplatz ist nach wie vor am See.

taz: Und das erste Weedbeat war gleich ein Erfolg?

Klose: Das hatte regional schon gut geklappt, es waren 200 bis 300 Leute da. Dann habe ich gleich gesagt, wir machen nächstes Jahr draußen eine Bühne. Und dann wurden es zwei Tage und dann drei Tage und so ging es weiter. Damit haben wir die Szene schon ein bisschen in Schwung gebracht. Es gab immer mehr Soundsystems, die gesagt haben, wir machen auch eine Radiosendung. DJ Adirock zum Beispiel schreibt ja heute fürs Riddim-Magazin. Das waren Leute, die hier bei Radio Tonkuhle angefangen haben. Das war eine schöne Entwicklung.

taz: Und das Weedbeat-Festival ist das Familientreffen, da kommen alle einmal im Jahr zusammen?

Klose: Ja. Ich wollte schon ein paar Mal aufhören, das wird ja schnell mal zu viel. Aber wenn es wieder stattgefunden hatte, war es immer ein tolles Familienfest. Und alle haben gesagt: Rico, wenn du das nicht mehr machst, dann treffen wir uns ja gar nicht mehr. Deswegen musste ich jetzt wirklich mal einen Schlussstrich ziehen, für mich.

taz: Wie viel Zeit brauchen Sie denn fürs Festival? Und was machen Sie sonst, wie verdienen Sie Ihr Geld?

Klose: Ich komme ursprünglich aus dem Eventbereich, habe hier in der Halle 39, einer großen Location in Hildesheim, gearbeitet und bin immer so der Hallenmeister gewesen, der alles irgendwie reparieren kann. Ich habe Tischler gelernt und jetzt bin ich als Hausmeister für ein Studentenwohnheim tätig Grundsätzlich fange ich immer zum Ende des Jahres mit dem Festival an, in der ruhigen Winterzeit. Viele bewerben sich bis dahin schon. Ich habe so viele Bewerbungen, ich könnte eine Woche machen, weil viele auch wiederkommen und beim Weedbeat spielen wollen. Aber man muss natürlich versuchen, das Ganze ein bisschen abwechslungsreich zu gestalten.

taz: Alle wollen das Festival, aber Sie sind derjenige, an dem alles hängenbleibt? Wie viele arbeiten denn noch mit?

Klose: Inzwischen hat sich ein Verein gegründet, „Reggae rund um Rössing“, da gibt es drei Personen im Vorstand, die kümmern sich um den Familientag am Sonntag. Den haben wir schon relativ am Anfang angeboten, damit die Dorfbevölkerung auch gucken kommen kann, was machen die hier eigentlich? Das war ein totaler Erfolg, sonntags war meistens mehr los als an den anderen Tagen. Das war für uns zwar finanziell nicht mehr so interessant, dafür gibt es jetzt den Verein. Aber darum ging es uns ja auch nicht. Dann habe ich einen Promoter, der in Hildesheim eher in der Comedyszene unterwegs ist und hier so kleine Sachen macht, Raimund Steiniger. Mit dem mache ich das fast von Anfang an zusammen. Er macht die Verträge, das ganze Behördliche. Das ist gar nicht mein Ding.

taz: Und Sie machen das Booking?

Klose: Genau. Und alles, dass das Festival schön wird, vom Toilettenwagenabholen bis zum Bandbegrüßen. In der Aufbauzeit habe ich viele ehrenamtliche Helfer, die für ein Ticket kommen. Das ist ein Team, das seit Jahren kommt, einige Köpfe sind schon seit zehn, fünfzehn Jahren dabei. Einige hat man gar nicht mehr auf dem Zettel, aber die stehen dann am Dienstag da und sagen: Hier bin ich! Da muss ich nicht viel machen, das passiert dann einfach.

taz: Wie ist es denn mit der Dorfgemeinschaft? Muss man sich das so vorstellen wie in Wacken? Einmal im Jahr ist Festival und alle sind irgendwie beteiligt?

Klose: Am Anfang war es sehr schwer. Es wurde im Dorf nicht angenommen, weil da auf einmal so 500 bunte Vögel durchs Dorf gelatscht sind. Alles, was kaputt gegangen ist, wurde uns aufgeschrieben. Ich saß regelmäßig montags bei der Polizei, weil ein Verkehrsschild weg war oder Solarlampen aus einem Garten. Das hat sich dann aber zum Positiven entwickelt. Dann hat der Bäcker schon gefragt, wann es wieder stattfindet, damit er genug Brötchen da hat. Ich hab den Fußballverein miteinbezogen: Komm, wir machen einen Weedbeat-Soccer-Cup. Den haben wir mit dem Rössinger Dorf-Cup verbunden und damit war die Nuss geknackt. Dann hatte ich sie, und es ist heute ein schöner Zusammenhalt.

taz: Die Eintrittspreise klingen noch vernünftig. Das Festivalticket kostet knapp 50 Euro. Wie finanziert sich das Festival?

Klose: Wir leben davon, dass man schon mal eine Förderung bekommt vom Musikland Niedersachsen zum Beispiel. Aber man muss doch jedes Jahr ein bisschen Geld reinstecken. Dass man mal 5.000 Euro verdient, so was gab es nicht.

taz: Und Sponsoren?

Klose: Ja, dieses Jahr musste ich auch wieder los, ein paar Sponsoren akquirieren, um alles zu decken. Aber das gibt mal 500 Euro und gut ist, und ich habe immer versucht zu vermeiden, dass auf dem Gelände Banner sind. Aber irgendwann geht es gar nicht mehr, dann sagst du: Was soll’s, bevor wir es ausfallen lassen, hängt dann da halt ein Sparkassen-Banner. Aber nicht in Bühnennähe. Am Eingang können wir gern Werbung für andere machen, aber um die Bühne herum und auf dem Gelände gibt es das nicht.

taz: Wie haben Sie denn Corona überstanden?

Klose: Während der Coronazeit habe ich ein Stream-Festival gemacht und habe alle, die eigentlich spielen sollten, angefragt, ob sie etwas aus dem Studio schicken können. Im anderen Jahr haben wir hier auf dem Flugplatz mit 150 Liegestühlen und mit Abstand eine Bühne aufgebaut und einfach weitergemacht, damit es nicht stillsteht. Das waren natürlich Sachen, die gekostet haben, und wir haben dafür nicht viel Geld bekommen.

taz: Sie können auch keine wirklich großen Acts buchen. Aber ab und zu sind doch Leute da wie Macka B, einer der einflussreichsten britischen Dancehall-DJs. Was ist Ihnen beim Booking der Künst­le­r*in­nen wichtig?

Rico Klose

Der Mensch

Rico Klose, geboren 1971 in Nordstemmen, ist Tischler und lebt in Hildesheim. Seit 25 Jahren veranstaltet er Partys und Konzerte und er war Musikredakteur bei Radio Tonkuhle. Er arbeitet als Hausmeister in einem Studierendenwohnheim.

Das Festival

Das Weedbeat-Festival fand seit 2004 um den Speicher Rössing bei Hildesheim statt. Für 2.000 Be­su­cher:in­nen gab es drei Tage Reggae, Dub, Dancehall und HipHop. Zweimal wurde es vom Leserpool der Musikzeitschrift Riddim unter die ersten fünf Plätze in der Kategorie „Bestes Festival“ gewählt.

Klose: Überwiegend ist es das, was ich so aufschnappe, was ich selbst höre. Zum Beispiel Total Hip Replacement, die 2023 auf dem Weedbeat waren, die habe ich bei uns im Radio Tonkuhle gehört und gedacht: Wie abgefahren, das hört sich ja an wie Fat Freddy’s Drop, aber es war eine junge dänische Band, die für 1.500 Euro mit elf Mann gespielt haben und uns einfach weggeflasht haben. Aber ich höre und hake auch sofort nach: Wo kommt ihr her, was nehmt ihr, was braucht ihr, habt ihr einen Booker? Da bin ich sofort hinterher. Es sind ein paar Sachen, die ich mir so schnappe, und andere kommen über Bewerbungen. Oder wenn zum Beispiel jemand, der lange eine Band gemanagt hat, sagt: Ich habe hier eine neue, junge Band, hör dir das mal an. Oder über Labels wie etwa Echo Beach. Mit dem Hamburger Label habe ich immer wieder Kontakt, weil ich selbst hauptsächlich Dub höre, so was wie Lee „Scratch“ Perry

taz: … den exzentrischen jamaikanischen Dub-Wegbereiter, den der britische Musikjournalist Lloyd Bradley mal den „Salvador Dalí des Dub“ genannt hat.

Klose: Ja, aber Lee habe ich nie genommen, weil er nicht so zuverlässig war. Wenn da ein Ufo kommt und die Sterne falsch stehen, dann kommt der nicht. Da musst du dann auch so ein bisschen wissen, wo die Schwierigkeiten liegen.

taz: Das Festival heißt Weedbeat, damit ist ja schon klar, dass dort auch ordentlich gekifft wird, dieses Jahr zum ersten Mal legal. Wie war es denn mit dem Kiffen in den vergangenen 20 Jahren?

Klose: Drei oder vier Jahre lang haben sie es gar nicht geschnallt. Dann hat sich diese Campingplatz-Atmo entwickelt und es kamen Leute, die sich gedacht haben: Dann kann ich hier auch aus dem Wohnwagen verkaufen. Das ist dann auch der Polizei aufgestoßen und sie haben sie hochgenommen, und seitdem haben wir massive Präsenz.

taz: Auch auf dem Gelände?

Auf dem Gelände waren immer nur Zivis, aber sie waren natürlich präsent. Meistens war es dann auch der Oberarzt oder der Direktor meiner Schule, der beim Kiffen erwischt wurde. Der hat es einmal im Jahr gemacht und wurde erwischt. Dann standen sie auch mal mit Hunden vor der Tür und haben quasi jeden Besucher erst mal gefilzt. Das hat uns natürlich ordentlich Besucher gekostet. Das ging über Social Media: Kommt nicht, die machen da alles dicht. Wir hatten hier im Dorf auch mal so einen Sheriff gehabt, der uns richtig hochnehmen wollte, und dann sind sie auch auf den Campingplatz und haben jedes Zelt aufgemacht und die Windeln der Kinder kontrolliert.

taz: Wie unangenehm …

Klose: Danach haben wir uns auch massiv beschwert und haben Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Der Mann ist Gott sei Dank nicht mehr in unserer Region, den haben sie versetzt, dann wurde es wieder ein bisschen ruhiger. Aber es war schon immer spannend. Wir haben natürlich auch Ansagen gemacht: Achtung, Polizei ist auf dem Hof. Und es gab Leute, die hatten eine blaue Laterne am Stock und sind hinterhergegangen. Da habe ich natürlich auch ein paar Strafen bezahlt.

taz: Dieses Jahr ist es ja vor allem ein Jugendschutzproblem. Wie hat das funktioniert?

Klose: Das Konzept war eigentlich, ein Zelt aufzubauen mit einem Banner „Weed-Lounge. Zutritt ab 18 Jahren“ davor und dort den Kiffern einen Platz zu bieten. Die Temperaturen waren aber tropisch, keiner wäre freiwillig in ein Zelt gegangen. Wir haben eine Freiluftlösung auf dem Gelände gefunden und diese mit einem Bauzaun mit besagtem Banner abgegrenzt und von der Bühne regelmäßig die Ansage gemacht: „Kiffen links und Kinder rechts.“ Der Ort war ganz nah an der Bühnenseite, wo Kinder aufgrund der Lautstärke eh nicht hingekommen sind, und es hat auch super funktioniert, was uns Eltern gern bestätigt haben.

Ich hab früher Punk gemacht und da gab es öfter mal auf die Fresse. Das gab es beim Reggae nie

taz: In Bezug auf Reggae wurde in den vergangenen Jahren auch über kulturelle Aneignung diskutiert. Gentleman zum Beispiel hat vor zwei Jahren dem Spiegel gesagt, dass er als Schwarzer Jamaikaner nicht so erfolgreich gewesen wäre und heute einiges anders gemacht hätte. Gab es solche Diskussionen auch auf dem Weedbeat?

Klose: Nein, überhaupt nicht. Was es gab, war das Thema Homophobie in Texten. Dann gehe ich sofort hin. So weit möglich, mache ich vorher eine Ansage, auch wenn ein Soundsystem so was auflegt. Ich hatte zum Beispiel einen, der wusste gar nicht, was die Texte aussagen, der fand die Musik einfach geil und das war dem dann total unangenehm.

taz: Probleme gibt es sonst auch nicht viele? Gewalt gab es gar nicht?

Klose: Nein, gar nicht. Die Sanitäter bauen jedes Jahr ein großes Zelt auf, aber haben gar nichts zu tun. Mal ein Wespenstich oder jemand ist in eine Scherbe getreten. Die freuen sich jedes Jahr, wenn sie bei uns Dienst haben dürfen.

taz: Aber nun ist Schluss mit dem Festival. Sie hören auf, jemand anderes hat sich nicht gefunden, und nun ist erst mal Pause. Oder geht es weiter?

Klose: Ich werde natürlich weiter Konzerte veranstalten. Hier in Hildesheim bin ich der private Subkulturförderer. Bands sind unbekannt, der Club muss gemietet werden und das organisiere ich dann auch, dass sie auch noch Spritgeld haben, um wieder nach Hause zu kommen. Das will ich auch weiterhin machen, so lange es noch eine Clubszene gibt.

taz: Und das läuft weiter unterm Label Weedbeat?

Klose: Ja genau, und vielleicht mache ich irgendwann mal wieder einen Tag am See.