80 Jahre Warschauer Aufstand

In Polens Hauptstadt stellt man hohe Erwartungen an den Besuch von Bundespräsident Steinmeier

Aus Warschau Gabriele Lesser

Wenn Präsident Frank-Walter Steinmeier zum 80. Jahrestag des Warschauer Aufstandes 1944 seine Gedenkrede hält, werden ihm viele über 90-Jährige zuhören. Unter ihnen befinden sich die letzten noch lebenden Veteranen der Widerstandsbewegung Armia Krajowa (AK). Vor achtzig Jahren kämpften sie um Freiheit und Würde, wie schon 1943 die Juden im Warschauer Getto. Auch diesen Aufstand hatten die Nazis blutig niedergeschlagen. Insgesamt starben im Getto knapp 500.000 Juden, die meisten davon aus Warschau. Bei der Gedenkfeier im letzten Jahr bat Steinmeier um Vergebung für die Verbrechen der Deutschen.

Die meisten Polen erwarten nun, dass Steinmeier auch für die rund 1,5 bis 2 Millionen von den Nazis ermordeten christlichen Polen um Vergebung bittet. Auch hoffen viele auf Informationen zum Baubeginn des in Berlin geplanten Deutsch-Polnischen Hauses, das über die gesamte deutsch-polnische Geschichte informieren soll. Von größerem Interesse ist jedoch das Versprechen von Kanzler Olaf Scholz, die letzten noch lebenden NS-Opfern in Polen finanziell zu entschädigen. Unmut kam zuletzt auf, weil weder etwas über die Höhe der Zuwendungen, noch über den Beginn der Zahlungen bekannt wurde. Im inzwischen beschlossen Haushalt konnte bislang niemand einen Posten „Zuwendungen für polnischen NS-Opfer“ entdecken. Auch hier erhoffen sich viele ein klärendes Wort von Steinmeier.

Vom Krasinski-Platz mit dem Denkmal des Warschauer Aufstandes sind es knapp fünf Kilometer Luftlinie bis nach Praga, dem östlich der Weichsel gelegenen zweiten Stadthälfte Warschaus. Als es hieß, die Rote Armee stünde vor Warschaus Toren, rief General Bor-Komorowski den Aufstand aus: Am 1. August 1944 um 17 Uhr sollten die Kämpfer losschlagen. Die Polen wollten den deutschen Besatzern zumindest das Stadtzentrum entreißen, um dann Stalins Soldaten mit erhobenem Kopf sagen zu können: „Wir haben Warschau selbst befreit!“ In ganz Ostpolen hatte die Rote Armee nach der Befreiung die Kämpfer der AK entwaffnet und ins Gefängnis werfen lassen.

Doch die Nachricht von der „Roten Armee vor den Toren Warschaus“ war eine Falschmeldung. Die Sowjetsoldaten kämpften noch rund anderthalb Monate gegen deutsche Verbände, bis sie Mitte September in Praga eintrafen. Dort war der Aufstand schon nach nur wenigen Tagen abgebrochen worden, da die Übermacht der Deutschen zu groß war. Stalin, der genau wusste, dass sich der Warschauer Aufstand zwar militärisch gegen Hitler, politisch aber gegen ihn richtete, hatte keinerlei Interesse daran, den Aufständischen zu Hilfe zu kommen. Sein Ziel war es vielmehr, Polen endgültig zur „Interessensphäre der Sowjetunion“ zu machen, wie es ihm die Westalliierten versprochen hatten. Er wartete daher die Kapitulation der Aufständischen und die systematische Zerstörung der Stadt ab. Erst am 17. Januar 1945 „befreite“ die Rote Armee das in Ruinen liegende Zentrum. Es sollte fast fünfzig Jahre dauern, bis die letzten der neuen Besatzer Polen wieder in Richtung Osten verließen.