Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Der Tod als Pose

Das Internet ist eine frühtödliche Stolperfalle“, sagt die Freundin und legt ihr Telefon auf den Bistrotisch.

„Nur wenn man blindlings jeder formschönen Attraktion für das makellose Selfie hinterherjagt“, sagt die andere und faltet in Nullkommanix einen Schwan aus ihrer Serviette.

„Sie tummeln sich zu Hunderten weltweit an Schauplätzen, schubsen sich grob beiseite, um den besten Hintergrund für ihre exklusive Einsamkeit zu erlangen.“

„Bis sie schwindelig von all der glatten Schönheit abrutschen und in die Tiefe plumpsen.“

„Was für ein sinnloser Tod.“

„Welcher Tod hat denn Sinn?“

„Und welches Leben?“

„Was ist überhaupt Sinn?“

„Mehrwert?“

„Das Leben, ein Recyclinghof.“

„Und wenn der gesteigerte Mehrwert für einige das soundsovielte perfekte Foto für Dopamin ist, na und?“

„Ist doch schnurz, wer wie sein Leben verramscht.“

„Aber warum genau hat die tote Influencerin überhaupt kommunikative Relevanz?“

„Quantitativ? Bereits viele Hunderte starben beim Versuch, ein Selfie zu machen.“

„Na und?“

„Wer es ständig auf den Gipfel treibt, sollte rechtzeitig wieder runterkommen.“

„Aber warum müssen wir darüber reden?“

„Es ist Teil der Entwicklung unserer akuten Gesellschaft.“

„Ich kenne niemanden, der das macht.“

„Aber wir machen doch alle absurde Dinge für Geld.“

„Mit Kollegen auskommen.“

„Glaub’, die Bestätigung treibt die Fotofreaks noch mehr an als das Geld.“

„Alles wegen der Feelings.“

„Adrenalin ist the Answer.“

„Hier steht, einer Studie zufolge waren es in einem Jahr 379 Selfie-bedingte Todesfälle. Alles dabei: Hochhaus, Berg, Balkon, Schlucht, Pool, Wasserfall.“

„Das Selbst inszeniert seinen eigenen Tod in Vollendung.“

„Also ist es Kunst?“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Das ästhetische Nirwana!“

„Aber was kommt danach?“

„Na, eben nur noch der Himmel.“

„Nun ergibt alles einen Sinn.“

„Als finaler Schritt der Klimax bleibt ja nur noch die Wolke.“

„Der überehrgeizige Sprung direkt ins Wolkenkuckucksheim.“

„Ach, so ein Tod an einem imposanten Ort hat auch was.“

„So vom Ding her schon.“

„Aber wie sollen die Follower denn dann noch folgen?“

„Im Jenseits gibt’s kein WLAN.“

„Die Follower folgen einfach ihrem niedersten Impuls und posten eine tränenreiche Story.“

„Und die Tränen bringen den Followern Follower.“

„Für die sie bald schon super-duper-happy vor einem gigantischen Wasserfall tanzen.“

„Das ist die ganze Angelegenheit in chronischer Rotation.“

„Ruchlos, turbulent und öde zugleich.“

„Und führt bei zu großer Hartnäckigkeit zum verfrühten Tod.“

„Das Leben führt doch so oder so zum Tod.“

„Aber muss es ein alberner sein?“

„Über den dann nicht mal jemand lacht.“

„Ist der Sinn des Lebens vielleicht: gute Unterhaltung, egal was“

„Risiko ist nicht lustig.“

„Schönheit auch nicht.“

„Aber alles in allem aber unterhaltsam.“

„Ist der Sinn des Lebens vielleicht: gute Unterhaltung, egal was.“

„Wie früher im Zirkus die Messerwerfer!“

„Warum will man womöglich von Messern getroffen werden oder dabei zusehen, wie jemand getroffen wird?“

„Um was zu spüren?“

„Das man da ist.“

„Bis man weg ist.“