Brandmauer in Ostdeutschland: Es kommt jetzt auf die CDU an

Nach den Wahlen in Thüringen wird die Union über ihren Schatten springen müssen. Die Versuchung wird groß sein, stattdessen die Brandmauer abzubauen.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (l), Thüringens Mario Voigt und Friedrich Merz beim CDU-Wahlkampfausftakt im Juli Foto: Karina Hessland/reuters

Der Jahrestag zum Fall der Berliner Mauer ist gerade begangen, da könnte in Deutschland die nächste Mauer fallen. Anders als vor 35 Jahren geschieht das nicht mit einem großen Knall, sondern Ziegel für Ziegel. Es ist die Brandmauer, die die CDU zur AfD hochgezogen hat. Und diesmal wäre das kein Grund zum Jubeln.

Auf dem Papier hat die Union beschlossen, dass sie die Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei ablehnt. Doch eine Mauer aus Papier ist nicht besonders stabil. Die Brandmauer muss sich täglich bewähren, bei den Mitgliedern, im Wahlkampf, in der Rhetorik, in den Parlamenten. Und da sieht es zwei Wochen vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen nicht nur schlecht aus. Die Brandmauer hat bereits offene Scheunentore.

In einer Umfrage unter 1.002 Mitgliedern der CDU gab fast die Hälfte der Mitglieder an, die Partei solle „zumindest in den ostdeutschen Ländern und Kommunen von Fall zu Fall mit der AfD zusammenarbeiten“. Unter ostdeutschen Mitgliedern stimmten sogar 68 Prozent der Aussage zu. Nun sind solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen, aber sie stehen nicht allein.

Aus den Kommunen gibt es beinahe wöchentlich Berichte über die Zusammenarbeit von CDU- und AfDlern. Auch im Erfurter Landtag hat die Union bereits Gesetze mit den Stimmen der AfD auf den Weg gebracht. Rhetorisch und politisch hat man sich angepasst, wenn etwa die CDU Thüringen auf ihren Kanälen die Arbeitspflicht für Ausländer in einem Landkreis damit bewirbt, dass sie umsetze, was die AfD nur fordere.

Jeder Tritt gegen die Brandmauer ist auch ein Test: Wie groß ist die Empörung? Wie weit können wir gehen?

Thüringens CDU-Chef Mario Voigt schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der Wahl zwar weiterhin aus. Aber kann er sich auf seine Abgeordneten verlassen? Die CDUler in Ostdeutschland sind selbstbewusst, sie lassen sich ungern aus Berlin sagen, was sie zu tun haben, und Papiere aus der Parteizentrale landen auch mal im Papierkorb.

Ein Szenario: Nach den Wahlen werden die Verhandlungen mit dem BSW unerfreulich verlaufen. Die CDU wird sich von Wagenknecht nicht ihre Außenpolitik aufzwingen lassen wollen. Was, wenn AfD-Chef Höcke dann mit dem scheinbar selbstlosen Angebot daherkommt, eine Minderheitsregierung der CDU in der einen oder anderen Form zu unterstützen?

Die mediale Aufmerksamkeit hat sich kurz vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen verschoben. Weg von CDU und AfD, hin zum Bündnis Sahra Wagenknecht. Eine neue Partei, die aus dem Stand erfolgreich sein könnte, das ist gerade spannender. Dabei darf aber nicht untergehen: Es kommt jetzt auf die CDU an.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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