Ins zu kühle Nass

Während Europäer in der Hitze schwitzen, beginnt im argentinischen Patagonien die Weltcup-Serie im Winterschwimmen – bei einer Wassertemperatur von 3 Grad Celsius

Aus Calafate Jürgen Vogt

Donnerndes Getöse hallt über das Wasser. Eismassen brechen von der 60 Meter hohen Gletscherwand ab. Sie tauchen ein, werden wieder hochgeschleudert und treiben gemächlich als Eisberge durch den Canal de las Tempanos, den Eisbergkanal des Perito-Moreno-Gletschers. Dies ist auch dieses Jahr die atemberaubende Kulisse für den Auftakt der Winterschwimm-Weltcupserie 2024/25, die im argentinischen Patagonien gestartet wurde. Fast 150 Schwim­me­r*in­nen aus 14 Ländern gehen ins kalte Wasser, ohne Neoprenanzug.

„Die Weltcup-Serie in Patagonien zu starten, ist etwas ganz Besonderes“, sagt die Präsidentin der International Winter Swimming Association (IWSA), Mariia Yrjö-Koskinen. Es ist zudem der einzige Weltcup, der auf den amerikanischen Kontinenten ausgetragen wird. „In Europa hatten wir einen sehr heißen Sommer, deshalb ist es phantastisch, dass hier Winter ist und wir unseren Sport das ganze Jahr über ausüben können.“ Die 61-jährige Finnin freut sich auf die 50 Meter Strecke. „Das Schwimmen im milchig-kalten Gletscherwasser ist eines der schönsten Dinge, die es gibt“, sagt sie.

Geschwommen werden 1.000, 500, 200, 50 und 25 Meter Brust und Freistil in den Altersklassen 15 bis 70 Jahre vor der Nordwand des Perito-Moreno-Gletschers und im Lago Argentino bei El Calafate. In den milderen Sommermonaten ist die 30.000 Einwohner zählende Stadt wegen ihrer Nähe zum imposanten Perito-Moreno-Gletscher eine Touristenhochburg. Im patagonischen Winter erfüllt er alle Voraussetzungen für die Durchführung eines Winterschwimm-Weltcups.

Auch in den frostigen Wintermonaten von Juli bis September schiebt sich der Perito-Moreno-Gletscher unaufhörlich ins Tal. Stetig bricht Eis von seiner 60 Meter hohen und vier Kilometer breiten Wand ab und treibt in Gestalt von Eisschollen entlang der Schwimmzone. Die Badeutensilien müssen vorher gereinigt und desinfiziert werden. Das Auftragen von Schutzcremes wie Vaseline ist ohnehin verboten, schließlich findet der Weltcup im Gletscher-Nationalpark statt, der zum Weltkulturerbe der Menschheit gehört.

Denn eine Besonderheit der patagonischen Gletscher ist, dass viele fast auf der Höhe des Meeresspiegels liegen. Die Gletscher sind Ausläufer der patagonischen Eiskappe, die nach der Antarktis und Grönland die drittgrößte Fläche kontinentalen Eises ist. Auf ihr gibt es über 45 Gletscher mit einer Größe von 200 bis 1.300 Quadratkilometern.

Beim Winterschwimmen muss die Wassertemperatur unter 5 Grad liegen, im Gletscherwasser schwankt sie zwischen 2,5 und 3 Grad. Je kälter das Wasser, desto schwerer wird es gerade bei den langen Strecken. Bei 1.000 Metern spürst du jedes Grad an Kälte, heißt es. Nur Schwimmbrillen, -kappen und -anzüge sind erlaubt.

Winterschwimmen ist ein Amateursport und die Aufnahme in die Agenda der Olympischen Winterspiele ein fernes Ziel der IWSA. Für die Strecken bis 50 Meter gibt es keine Qualifikation, die Anmeldung genügt. Wer Strecken über 50 Meter schwimmen will, muss nachweisen, dass er sie bereits in kaltem Wasser geschwommen ist. Über ihre körperliche Fitness müssen die Teilnehmenden ein ärztliches Attest vorlegen. Ein ­größeres Hindernis ist da schon die 40 Dollar Startgebühr für jede gemeldete Strecke.

Bei 1.000 Metern spürst du jedes Grad Kälte, heißt es. Nur Schwimmbrillen, -kappen und -anzüge sind erlaubt

Entlang der Schwimmstrecke sind Hel­fe­r*in­nen in Booten und Tau­che­r*in­nen im Wasser für eine schnelle Hilfe in Bereitschaft. Die Verständigung erfolgt über Zeichengeben: Eine Hand auf dem Kopf bedeutet: Alles ist okay. Das Armhochheben bedeutet: Ich brauche Hilfe. Armwinken bedeutet: Ich brauchen dringend Hilfe. Kopfsprünge beim Start und Rollwende sind nicht erlaubt. Alle müssen sich an eine kleine Schwimmboje anleinen.

Für die Platzierungen werden Schwimmzeiten, Wassertemperatur und Alter nach einem ausgeklügelten Punktesystem berechnet. Der Weltcup in Patagonien ist einer von vier Cupwettbewerben in dieser Saison. Gewertet werden die jeweils besten drei Weltcupergebnisse eines Teilnehmenden. Wer die meisten Punkte auf sich vereint, steht am Ende ganz oben auf dem Treppchen.

Mit Christof Wandratsch ist einer der großen Favoriten am Start. Der 58-jährige Lehrer aus dem fränkischen Haimung bei Burghausen hat schon zweimal den Gesamtweltcup gewonnen. In El Calafate hat er für zehn Wettbewerbe gemeldet mit Schwerpunkt auf 500 und 1.000 Meter. Sein Ziel: Bei jedem Rennen unter die ersten drei seiner Altersklasse kommen. Sein Handicap: „Bei der Abreise von zu Hause hatte es 30 Grad Hitze, da bin ich gespannt, wie die Umstellung klappt.“