Es gibt nicht viel zu feiern

In Afghanistan bemühen sich die Taliban in den drei Jahren seit ihrer erneuten Machtübernahme einen „wahrhaft islamischen Staat“ zu errichten. Jetzt versuchen sie mit Hilfe einiger Nachbarländer die Wirtschaft anzukurbeln

Schulterfreie Damenkleider in einem Geschäft in Kabul am 22. Juli 2024: Auf Anordung der Taliban mussten die Gesichter der Puppen verhüllt werden.

Damenkleider in einem Geschäft in Kabul am 22. Juli 2024: Auf Anordnung der Taliban mussten die Gesichter der Puppen verhüllt werden Foto: Wakil Kohsar/afp

Von Thomas Ruttig

Die Taliban dürften den dritten Jahrestag ihrer erneuten Machtübernahme vom 15. August 2021 genießen. Damals zog die US-geführte Koalition samt deutscher Beteiligung nach zwanzig Jahren bedingungs- und erfolglos aus Afghanistan ab. Die Taliban rückten ungehindert in Kabul ein, die vom Westen gestützte Islamische Republik brach zusammen. Vom „stolzesten Tag in der Geschichte der ganzen islamischen Weltgemeinschaft, besonders der Afghanen“ sprach ihr Premierminister, Mullah Muhammad Hassan Akhund, am Dienstag in einer Grußbotschaft – einem „deutlichen Beispiel von Gottes Hilfe“.

Seit drei Jahren arbeiten die Taliban daran, einen „wahrhaft islamischen Staat“ zu errichten. In einer Art Erziehungsdiktatur wollen sie alle westlichen Einflüsse in der Gesellschaft ausradieren. Wer sich nicht freiwillig fügt, gegen den wird Gewalt angewendet. Die exilafghanische Menschenrechtsorganisation Rawadari berichtete Anfang der Woche, die Zahl der Fälle von „erzwungenem Verschwinden, Folter, die in Mord endet, willkürlicher Inhaftierung und grausamer und unmenschlicher Behandlung“ durch die Taliban habe sich im ersten Halbjahr verdoppelt, teils sogar verdreifacht.

Der Taliban-Feiertag findet wegen unterschiedlicher Schaltjahre in unserem und dem in Afghanistan gebräuchlichen persischen Kalender für uns übrigens einen Tag früher statt, schon am 14. August. In Afghanistan ist das Datum der 24. Assad, im Monat des Sternbilds Löwe. Doch außer kleineren offiziellen Meetings wird nicht viel los sein.

Wie viele Menschen im Land mitfeiern, ist unklar. Sie haben sich dieses Regime nicht ausgesucht. Viele lehnen dessen strikte Politik ab, die Frauen und Mädchen von Bildung jenseits der sechsten Klasse und weitgehend aus dem außerhäuslichen Arbeitsleben ausschließt. Oder sie teilen die Taliban-Auslegung der Scharia nicht. Abweichende Meinungen können sie öffentlich nicht äußern. Viele sind aber auch einfach froh, dass vierzig Jahre Krieg vorbei sind, und arrangieren sich.

Das vergangene Jahr verbrachten die Radikalislamisten vor allem damit, Lücken in ihrem System zu schließen. In seiner wohl einschneidendsten Maßnahme ordnete Taliban-Chef Hebatullah Achundsada an, all jenen Frauen im Regierungsapparat, die nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen, aber formal nicht entlassen wurden und weiterhin Gehalt beziehen, einheitlich nur noch 5.000 Afghani im Monat zu zahlen, kaum 70 Euro. Vor allem Alleinverdienenden reicht das nicht zum Leben. Zudem betreiben die Taliban gerade eine neue Kampagne zur strikten Verschleierung. Ihre Moralpolizei kontrolliert Schulen und Büros, es drohen „Bestrafung und Gefängnis“.

Die Taliban bemühen sich, die als westliche Einflussagenten beargwöhnten lokalen wie internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und vor allem deren Budgets unter Kontrolle zu bringen. Sie verlangen Mitsprache bei Einstellungen und Beschaffungen sowie Genehmigungen für Veranstaltungen. Afghaninnen sollen solche NGOs möglichst überhaupt nicht mehr leiten. Machen sie das weiter, verwehren die Behörden ihnen Treffen zur verlangten Projektkoordinierung. Und doch berichteten lokale NGOs, auch solche mit Frauen an der Spitze, dass sie punktuell mit gutwilligen Regimevertretern arbeiten können. Aber sie sprechen nicht gern darüber, damit sich diese Nischen nicht auch noch schließen.

„Stolzester Tag in der Geschichte der ganzen islamischen Weltgemeinschaft“

Muhammad Hassan Akhund, Taliban-Premier

Zur Zeit verbreiten die Taliban Erfolgsmeldungen, um ihre Regierung als ökonomisch kompetent zu präsentieren. Am Montag verkündete ihr Vizepremier für Wirtschaft, Mullah Abdul Ghani Baradar, er habe mit iranischen Investoren Industriezonen an der gemeinsamen Grenze vereinbart. Dort soll unter anderem Solarenergie generiert werden. Kürzlich eröffnete Chinas Botschafter den Bau einer Straße nach Mes-e Ainak südöstlich von Kabul, dem wohl zweitgrößten Kupfervorkommen der Welt. Seit 40 Jahren wollten Sowjets wie westliche Berater dies erschließen, um den von ihnen gestützten Regierungen eine Mega-Einkommensquelle zu verschaffen, scheiterten aber am Krieg. Im Mai vereinbarten die Taliban mit Kasachstan und Turkmenistan an der Grenze zu Iran im Nordwesten des Landes ein Logistikzentrum zu errichten, über das auch russisches Öl nach Südasien fließen soll.

Politisch profitieren die Taliban bereits vom Ukrainekrieg. Moskau erklärte offiziell, sie seien keine Feinde Russlands und keine Gefahr mehr und bindet sie so in sein antiwestliches Bündnis ein. Gemeinsam mit China, dessen Präsident Xi Jinping im Januar als erster Staatschef einen Taliban-Botschafter empfing. Doch bekommen auch die Taliban das Terrorproblem nicht in den Griff. Am Sonntag verübte der sogenannte Islamische Staat (IS) im schiitischen Westkabul seinen dritten Anschlag des Jahres. Es gab einen Toten und 13 Verletzte.