Mehrere Rollen rückwärts

Was droht Schü­le­r:in­nen und Lehrkräften in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Falle eines AfD-Wahlsieges? Ein Blick in die Wahlprogramme der extrem rechten Partei zeigen weniger Inklusion, weniger politische Bildung – und noch mehr Genderverbote

Für die AfD ein „Ideologieprojekt“: die Inklusion behinderter Schü­le­r:in­nen, wie in der Gesamtschule Holweide in Köln Foto: Theodor Barth/laif

Aus Leipzig David Muschenich

Die AfD möchte die Schulen in Deutschland verändern. Ihr geht es darum, wer in den Klassen sitzt und was die Schü­le­r:in­nen dort lernen: Mehr Heimatliebe, „traditionelle“ Familienrollen und autoritätsbewusste Lehrkräfte, das fordert die Partei beispielsweise in ihren Landtagswahlprogrammen. Dafür solle es in den Klassen weniger Menschen mit Behinderungen, Mi­gran­t:in­nen und keinen Unterricht zu sexueller oder geschlechtlicher Vielfalt geben.

Was die AfD verändern möchte, könnte in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ab September, nach den Landtagswahlen dort, eine größere Rolle spielen. Denn um Bildungspolitik umzusetzen, braucht die AfD keine Mehrheit im Bundestag. Bildung gehört zu den Kernkompetenzen der Bundesländer, die können weitreichend entscheiden, was in den Schulen passiert.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass die AfD nach den Wahlen in einem der drei Länder regiert – obwohl sie dort aktuell Umfragewerte bis zu 30 Prozent hat. Und so, wie die Umfragen aktuell stehen, kann die AfD in allen drei Ländern ein paar Prozentpunkte gewinnen. Obwohl ihre Werte zuletzt sanken, läge sie aktuell in Sachsen und Thüringen bei um die 30 Prozent und in Brandenburg bei etwa 24 Prozent.

Alle anderen Parteien sagen, sie arbeiten nicht mit ihr zusammen, weil sie völkisch ist oder Minderheiten gegeneinander ausspielt. Trotzdem ist wichtig zu wissen, welche Pläne die AfD im Bildungsbereich verfolgt. Und welche Folgen es für Schü­le­r:in­nen und Leh­re­r:in­nen hätte, würde umgesetzt, was die AfD in ihren Wahlprogrammen fordert. Denn selbst wenn sie nicht regiert, beeinflusst die rechtsextreme Partei schon heute den Schulalltag.

Die Online-Meldeportale der AfD sind ein Beispiel dafür: Anonym können Schü­le­r:in­nen ihre Lehrkräfte melden, wenn diese sich kritisch über die AfD äußern. Weil Leh­re­r:in­nen einer Neutralitätspflicht unterlägen, dürften sie das nicht. Erst im Mai dieses Jahres ging erneut ein solches „Infoportal“ von der AfD Niedersachsen online. Auch der Thüringer Landesverband vertritt diese Idee. In seinem Wahlprogramm heißt es: „Verstöße des Schulpersonals gegen das Neutralitätsgebot sind zu ahnden.“ Dabei beruft sie sich auf den Beutelsbacher Konsens, nach dem Lehrkräfte kontroverse Themen im Unterricht auch kontrovers darstellen und ihre Schü­le­r:in­nen nicht mit ihren eigenen Überzeugungen „überwältigen“ sollen.

Mit ihrem Vorstoß schüchtert die AfD schon heute Lehrkräfte ein, sagt Kathrin Vitzthum, die Thüringer Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Jüngere Kol­le­g:in­nen hätten ihr schon signalisiert, den Thüringer Schuldienst zu verlassen, sollte die AfD regieren. Dabei interpretiere die AfD das Neutralitätsgebot „bewusst“ falsch, kritisiert Vitzthum. Leh­re­r:in­nen seien an die Werte des Grundgesetzes gebunden und müssten diese vermitteln. „Diese Werte sind an sich nicht neutral.“ Es ginge der AfD nur darum, Druck aufzubauen.

Das sieht man auch bei der AfD-Position zur politischen Bildung. Der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban etwa bezeichnet das als „ideologische Umerziehung“, die ihn an die DDR erinnere. Demokratieprojekte, die an Schulen über Mitbestimmung, Grundwerte oder das Rechtsstaatsprinzip aufklären, könnten es unter einer Landesregierung mit AfD-Beteiligung schwerer haben, Workshops an Schulen zu geben oder Fördergelder zu bekommen.

Die Augsburger Professorin für vergleichende Bildungsforschung, Rita Nikolai, untersucht seit April, welche bildungspolitischen Ziele die AfD verfolgt. Wenn man sie fragt, was die AfD hier von den anderen Parteien in den Parlamenten unterscheidet, verweist sie auf eine Theorie des Bildungsforschers Helmut Fend. Demnach habe Schule drei Funktionen: qualifizieren, selektieren und integrieren. „Wenn man sich Schulgeschichte anguckt, hat Schule diese Aufgaben“, erklärt Nikolai. Aber anders als die anderen Parteien, lege die AfD nur Wert auf Qualifikation und Selektion. Die Integration übergehe sie.

Das zeige sich etwa im Vergleich mit der CDU: In schulstrukturellen Fragen sind CDU und AfD nicht weit voneinander entfernt. Bei der Trennung von Kindern ab der vierten Klasse zum Beispiel oder dem gegliederten Sekundarschulsystem. Aber es gibt einen Unterschied. Nikolai sagt: „Die AfD argumentiert immer, dass die Leistung von schlechten Schülern die der guten trübt. Sie thematisiert nie: Wie können Kinder so gefördert werden, dass jedes das Beste aus sich rausholen kann.“ Unter diesen Umständen hätten beispielsweise die Kinder schlechtere Chancen, deren Eltern ein geringes Einkommen haben.

Mit dem Leistungsargument begründet die AfD auch den Ausschluss anderer Gruppen, wie Schü­le­r:in­nen mit Behinderung. Im vergangenen Jahr sagte der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke, Inklusion sei ein „Ideologieprojekt“, das „unsere Kinder nicht leistungsfähiger“ mache. Das Bildungssystem müsse von ihm befreit werden.

Damit liegt sie inhaltlich nahe bei der CDU. Beide Parteien fordern, die Förderschule fortzusetzen und auszubauen, anders als Grüne, SPD und Linke, die für eine Inklusion werben. Doch dafür seien die Ressourcen nicht vorhanden, erklärt Christian Tischner, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in Thüringen. Darum sehe seine Partei die Förderschule als Baustein, um Kinder mit „spezialisierter Förderung bestmöglich aufs Leben vorzubereiten“. Und worin unterscheidet sich das von den Forderungen der AfD? Dazu könne er „nur bedingt Auskunft geben“, antwortet Tischner und betont: Das CDU-Wahlprogramm wurde deutlich vor dem der AfD veröffentlicht.

Eine weitere Gruppe im Visier der AfD sind „ausländische Kinder“ mit geringen Deutschkenntnissen. Laut dem Landtagswahlprogramm in Sachsen würden durch sie „einheimische Schüler in ihrem Lernfortschritt behindert“. Darum sollen sie in gesonderten Klassen Unterricht bekommen. Eine typische Forderung in den Wahlprogrammen. Trotzdem sagt Bildungsforscherin Rita Nikolai: „Aus dem Wahlprogramm lässt sich bei der Bildung nicht ablesen, dass die AfD völkisch argumentiert.“

Für den sächsischen AfD-Landesvorsitzenden ist politische Bildung „ideologische Umerziehung“, die an die DDR erinnere

Die Linkspartei in Sachsen sieht das anders. Für deren Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg zeugen AfD-Aussagen vom „völkisch-rassistischen Menschenbild“ der Partei. Dessen bildungspolitischer Sprecher in Sachsen, Rolf Weigand, forderte beispielsweise, „die ausufernde Durchmischung der Schulklassen zu verhindern. Unbegleitete, minderjährige Migranten sollten gesondert in ihrer Heimatsprache unterrichtet werden.“ Das sei „Stimmungsmache“, kritisiert Neuhaus-Wartenberg, und darüber hinaus nicht sinnvoll. Trotz aller Herausforderungen sei es wichtig, Kinder gemeinsam zu unterrichten. Multiprofessionelle Teams mit Schulassistenzen und Schulsozialarbeit könnten dabei den Druck von Leh­re­r:in­nen ­nehmen.

In ihren Wahlprogrammen warnt die AfD außerdem vor einer „Frühsexualisierung unter dem Deckmantel der sexuellen Vielfalt“. Die Thüringer GEW-Vorsitzende Vitzthum erkennt darin einen „Kampfbegriff“. Er solle suggerieren, dass Kinder durch Sexualpädagogik zu früh zu sexuellen Wesen würden. „Dass dem nicht so ist, ist der AfD herzlich egal“, sagt Vitzthum. Sexuelle Aufklärung sei kein Unterricht über Sex im allgemeinen, „sondern wird als Teil der Gesundheitsbildung verstanden, sich und seinen Körper kennen und verstehen, Grenzen ziehen zu können“. Ähnlich schätzt das auch die bildungspolitische Sprecherin der Grünen in Sachsen, Christin Melcher, ein. „Die Opfer dieser Politik sind wie so oft genau jene Menschen, die so lange schon für Akzeptanz und Toleranz kämpfen müssen“, sagt sie.

Zudem kämpft die AfD weiterhin gegen das Gendern. Selbst in Sachsen, wo Schü­le­r:in­nen schon längst Punkte abgezogen bekommen, wenn sie geschlechtergerechte Sprache verwenden, betont die AfD noch in ihrem Wahlprogramm, dass sie „jegliche ‚politisch korrekten‘ Sprachvorgabe“ ablehnt. Auch möchte die Partei Gleichstellungsbeauftragte abschaffen. Denn die „Gender-Ideologie entwertet die gewachsene und im Grundgesetz verankerte Vorrangstellung von Ehe und ­Familie.“

Aber was könnte die AfD tatsächlich ändern, sollte sie über ein Bildungsministerium bestimmen? Dann könnte sie relativ einfach die Lehrpläne ändern, erklärt die Thüringer GEW-Vorsitzende Vitzthum. Dass Sexualkunde erst in der 8. Klasse eingeführt wird, könne die AfD ohne Zustimmung des Parlaments erlassen. Ähnlich sieht es bei Einstellungsrichtlinien oder disziplinarischen Maßnahmen aus. Für Schulgesetze, die zum Beispiel die Schulform festlegen oder welche Rechte und Pflichten Lehrkräfte haben, bräuchte die AfD hingegen eine Mehrheit im Parlament.