Annabelle Hirsch La Strada
: Fröhlich und leicht wie in einer Solero-Werbung

Foto: privat

Der August in Italien ist schön, aber tückisch. Wer nicht zufällig Freude daran hat, sich wie ein Speck auf einer Plancha zu fühlen, oder das Glück hat, den ganzen Tag im Meerwasser zu tunken, so wie die ältere Damen an italienischen Stränden, wird zwangsläufig ein bisschen leiden. Während meines ersten Sommers in Rom, den ich fast kontinuierlich in der Stadt verbrachte, beobachtete ich zwei- oder dreimal, wie Leute im Café mitten in einem Gespräch, beim Lesen oder In-die-Luft-Gucken von ihren Stühlen rutschten und von einer Kellnerschar mit Eiswürfeln, Wasser und Zucker reanimiert werden mussten. Da auch ich eindeutig nicht für die großen Hitzen konzipiert bin, teilte ich den Tag fortan intuitiv in klare Innen- und Außenzeiten ein. Von sieben bis zehn, maximal elf Uhr war ich draußen, danach verließ ich das Haus selten vor zwanzig Uhr. Weil ich selbst dann durch die Straßen schlurfte und hechelte wie ein verdurstender Hund in der Sahara.

Das menschenleere, autofreie Rom ist unbeschreiblich schön. Dieses Gefühl der angehaltenen Zeit, das durch Städte fegt, deren Bewohner im August flüchten, ist einzigartig. Die Leere hat eine besondere Poesie, eine Melancholie und schafft zwischen den wenigen Zurückgebliebenen eine Verbundenheit. Das Einverständnis, im gleichen komischen Boot zu sitzen. Trotzdem beschloss ich, das Experiment erst einmal nicht zu wiederholen. Ich würde den Sommer fortan, wenn schon nicht an einem Strand, dann doch eher in Deutschland verbringen. Nur ist es mit der übermäßigen Hitze und dem Leiden darunter wie mit so vielen Dingen, gegen die man sich aus Vernunft-, nicht aus Herzensgründen entscheidet: Man vergisst, wie unangenehm es war, denkt, es sei doch gar nicht so schlimm gewesen, eigentlich sogar wirklich richtig schön, man sei vollkommen dumm, sich davon getrennt zu haben, und folglich: Warum ist man im August in Berlin und nicht in Italien?

Netterweise hat sich Italien oder genauer Nea­pel an diesem Wochenende nach Berlin bewegt, und der Stimmung des Abends nach zu urteilen, hatte nicht nur ich Sehnsucht nach dem Süden. Als am Samstagabend im Berliner Club Prince Charles erst die Gruppe Napoli Segreta und anschließend das neapolitanische Duo von Nu Genea auflegten, fühlte man sich ganz kurz so, als sei man nicht in Berlin, vielleicht noch nicht einmal im Jahr 2024, eher irgendwo an einem Strand bei Maratea, in den sechziger oder siebziger Jahren, als hätte man noch Sand im Haar, den Geruch von Sonnencreme in der Nase und einen lustigen Flirt zur Hand. Oder, wie meine Freundin Charlotte es etwas konziser sagte: Wie in einer Solero-Werbung! Es war fröhlich und leicht und, wie es sich im richtigen Sommer gehört, auch ein bisschen nostalgisch. Der Sixties-Touch von Napoli Segreta, der an sich so gar nicht zum klassischen Berliner Vibe passt, sorgte hier nicht für Irritation, sondern im Gegenteil für Jubelschreie, lautes Mitsingen, in die Luft geworfene Arme und wildes Hüftkreisen. Als etwas später Nu Genea, diese sympathische Zweimann-Band aus Neapel, auftrat, die Italo-Disco, Elektro, Funk, Boogie, also einfach alles mischt, was Spaß macht und nach Sonne klingt, kreischte der Dancefloor, als stünde er vor alten Freunden. Oder eben vor dem vermissten Gefühl des Augusts in Süditalien. Es war herrlich. Hier und da fächerte eine gut vorbereitete, großzügige Nachbarin einem Luft zu, um die erwähnte Ohnmacht zu vermeiden, ansonsten bewegte sich der gesamte Dancefloor ein paar Stunden lang in einem rhythmischen Einklang, einer sommerlichen Trance. Schwitzend. Lachend. Selten habe ich in Berlin so viele Menschen auf einer Tanzfläche lächeln gesehen.

Vielleicht hatten manche beim Hinhören auch Nu Geneas Video von „Marechià“ im Kopf. Dort sieht man einen älteren Herrn (den Vater eines der beiden), der sich voller Elan auf den Weg zu seiner morgendlichen Schwimmtour macht. Als man ihm den Weg zum Wasser versperrt, zögert er nicht lange. Wenn er nicht im Meer schwimmen kann, dann schwimmt er eben durch die Straßen von Neapel. Er zieht seine Schwimmbrille auf und krault los. Noch einen August in Berlin und ich mache das auch.

Die Autorin lebt in Rom