Bilanz der Olympischen Spiele in Paris: Sonne und Skandale

Die Sommerspiele waren faszinierend: Geopolitische Konflikte konnten überspielt werden, Kulturkämpfe über den Frauensport nicht.

Große Begeisterung an der Marathonstrecke vor dem Schloss von Versailles Foto: Rebecca Blackwell/dpa

Die Metrolinien Richtung Innenstadt waren ungewöhnlich voll für einen Samstagvormittag in Paris. Um 8 Uhr in der Früh schon wurden die Marathonläufer auf die Strecke geschickt. Viele Pariserinnen und Pariser wollten noch einmal ein wenig Olympialuft schnuppern an diesem vorletzten Tag der Spiele und suchten sich einen Platz an der Strecke.

Gut zwei Stunden, bevor mit den ersten Läufern im Zielbereich am Invalidendom zu rechnen war, hatten sich die ersten Fans schon an den letzten frei zugänglichen Plätzen vor dem für das zahlende Publikum reservierten Tribünen postiert. Da war das Rennen, das die Läufer vorbei an einer Sehenswürdigkeit nach der anderen von Paris bis zum Schloss Versailles und zurück in die Stadt führen sollte, noch gar nicht gestartet.

Der Himmel hätte nicht blauer sein können und noch einmal lieferten die Olympischen Spiele jene faszinierenden Bilder moderner Leistungssportler vor historischen Kulissen, vor denen die halbe Welt in den vergangenen zwei Wochen regelrecht in die Knie gegangen ist.

Ja, die halbe Welt soll die Spiele wahrgenommen haben. Das jedenfalls meinte Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees bei seiner Bilanzpressekonferenz am Freitag vor dem letzten Olympiawochenende. „Die Zahlen gehen durch die Decke“, sagte er mit Verweis auf TV-Quoten und Reichweiten im Netz. Und so kommt er eben zu dem Schluss, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung die Spiele verfolgt haben.

Nur ein paar Wolken

Nach den traurigen Coronaspielen von Tokio 2021 und den noch traurigeren Coronadiktaturspielen 2022 in Peking scheint wieder die Sonne über dem Olymp. Nur ein paar Wolken schoben sich davor. Thomas Bach, der sich so gerne in der Rolle des großen Friedensfürsten sieht, klopfte sich jedenfalls heftig selbst auf die Schulter und freute sich, dass es dem IOC gelungen ist, alle geopolitischen Konflikte weitgehend von den Spielen fernzuhalten.

Die paar Russen und Belarussen, die nach dem Überfall auf die Ukraine als sogenannte neutrale Athleten ohne Hoheitszeichen ihrer Länder angetreten sind, machten keinen großen Ärger und auch der Gazakrieg konnte das olympische Dorf nicht erschüttern. Dafür taten die Kulturkämpfer, die gerade dabei sind, sich genüsslich am vermeintlichen Zerfall der offenen Gesellschaften des Westens zu laben, alles dafür, die Spiele zum großen Skandalevent zu machen.

Noch einmal musste Thomas Bach bei seinem letzten olympischen Schlussstatement – er wird 2025 an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergeben – über den Beginn der Spiele sprechen. Die Eröffnungsfeier, jenes Weihefest der Diversität, war noch einmal Thema. „Blasphemie!“, hatten diejenigen geschrien, die auf der Suche nach einem Skandal gesehen haben wollten, dass die Macher des Spektakels Jesus beim Abendmahl durch einen saufenden Dionysos, der noch dazu nackt und blau war, ersetzt haben, der noch dazu mit lauter Dragqueens feierte. Fast überall war zu lesen, dass auch die katholische Kirche sich empört habe. „Wir haben keine Mitteilung vom Vatikan erhalten“, sagte Thomas Bach nun auf Nachfrage.

Und natürlich musste Bach wieder Fragen beantworten zu den zwei Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu-ting, die von besonders unappetitlichen Menschen im Netz seit ihren ersten Kämpfen als Männer bezeichnet werden. „Was hätten wir anders machen sollen?“, fragte Bach. „Zwei Frauen ausschließen, wegen Vorwürfen, die auf unzuverlässigen Daten beruhen?“ Den Geschlechtstests, die von der vom IOC ausgeschlossenen International Boxing Association durchgeführt worden sind, misstraut er. Selbsternannte Kämpfer für den Frauensport folgen dagegen immer noch der Erzählung des Verbands, der von einem russischen Ex-Rocker mit dem Geld des russischen Staatskonzern Gazprom einen Skandal nach dem anderen provoziert.

Schier unmenschliche Beschimpfungen

Ihm ist gelungen, die Illusion eines fairen Wettbewerbs, von der der Sport ja lebt, zu zerstören. Die muss jetzt wieder hergestellt werden. Leicht wird das nicht. Und während im Netz auf schier unmenschliche Art weiter vor allem gegen die Algerierin Khelif gewettert wurde, feierte in der Pariser Innenstadt die algerische Community ihren Olympiasieg in den mit den Fahnen ihres Herkunftslandes geschmückten Cafés lautstark und sangesfroh bis spät in die Nacht hinein.

Die Bars und Bistros, in denen den ganzen Tag Livebilder von den Wettbewerben gezeigt wurden, auch sie gehören zu den Bildern dieser Spiele. Einen Schwimmwettbewerb bei Bier und Fritten in der Kneipe zu verfolgen, war olympischer Alltag. Wenn ein Franzose oder eine Französin dabei war, lief auch mal Tischtennis, Judo oder BMX in den gut gefüllten Gaststätten.

Zur Idee der Spiele gehört es ja, den Leuten zu vermitteln, dass auch sie davon profitieren und so richtete jedes Arrondissement einen Ort zum gemeinsamen Spieleschauen ein. Tatsächlich kamen Leute, um ihre Mittagspause in einem Liegestuhl vor einer Leinwand zu verbringen, um nebenbei ein bisschen Turmspringen zu verfolgen. Die Spiele sind angekommen bei den Hauptstädtern.

Seit ein paar Tagen ist Karen Barr, die Bürgermeisterin von Los Angeles, in Paris unterwegs. Sie möchte sehen, welche Projekte in Paris entstanden sind, die bleiben, wenn die Spiele längst gegangen sind. Sie war in der Vorstadt Saint-Denis, wo aus dem olympischen Dorf sozialer Wohnraum und Studierendenbehausungen werden sollen.

Sie hat sich ein paar der vielen Fanfeste angeschaut und möchte, dass sich die unterschiedlichen Communitys von Los Angeles 2028 ebenso präsentieren. Und wie sollen die Spiele in vier Jahren aussehen? Ohne Eiffelturm, ohne Seine und ohne die ganze Geschichte, die bei jedem Wettkampf auf irgendeine Art mit im Bild war. Vielleicht kommt es einfach auf die Leute an.

Die unzähligen Menschen, die am Ende dicht gedrängt in fünf, sechs Reihen an der Marathonstrecke standen, und von denen viele nicht viel gesehen haben dürften von den Läufern, und vielleicht überhaupt nichts vom äthiopischen Olympiasieger Tamirat Tola, wollten auf irgendeine Art dabei sein bei diesen Spielen. Und bis tief in die magische Pariser Sommernacht auf Sonntag hinein jubelten Tausende den Läuferinnen und Läufern zu, die sich spät am Abend beim „Marathon für alle“ selbst auf die olympische Straßenlaufstrecke gemacht hatten. Wie erwähnt: Sie wollten irgendwie dabei sein – ganz im olympischen Sinn.

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