Steffen Grimberg
Flimmern und Rauschen
: Die lange Reise von Sam dem Sachsen

Foto: Regentaucher

Die Geschichte ist so irre, gerade weil sie wahr ist: „Sam – ein Sachse“ erzählt die Lebensgeschichte des 1970 in Zwenkau bei Leipzig geborenen Samuel Meffire. Der Vater kam aus Kamerun, die Mutter aus Deutschland und ihr Sohn erlebte den Alltagsrassismus in der damaligen DDR buchstäblich am eigenen Leib. Und weil ihn auch die Volkspolizei kaum schützte, ging er genau dorthin. Dann kam die Wende. Meffire wurde Kriminalbeamter und prangte ab 1992 als It-Man ausgerechnet auf den Werbeplakaten der sächsischen Polizei. Im Jahr 1994 quittierte er den Dienst und geriet auf die schiefe Bahn. Er saß im Knast, wurde dann Personenschützer, engagierte sich in Projekten mit straffälligen Jugendlichen und bei der Hilfe für Geflüchtete. Heute arbeitet Meffire als Trainer für Gefahrenlagen.

Das ist klarer Filmstoff, ach Quatsch, mindestens genug für ’ne Serie. Und die läuft ab Ende September im MDR. Die Geschichte der Produktion ist dabei genauso irre wie ihr Inhalt. Denn eigentlich hätte es „Sam – ein Sachse“ schon 2006 geben können. Gemacht von niemand Geringerem als dem Produzenten Tyron Ricketts und Emmy-Preisträger Jörg Winger. Ricketts, dessen Vater aus Jamaika stammt, hatte Meffire Anfang der 2000er Jahre persönlich kennengelernt. Da war Ricketts als Rapper mit Brothers Keepers auf Tour durch den Osten und brauchte wegen der massiven Übergriffe gegen People of Color Schutz. Meffire hatte gerade seine Haftstrafe abgesessen und arbeitete bei der Sicherheitsfirma, die bei der Tour zum Einsatz kam. Natürlich waren sie zuerst bei ARD und ZDF mit ihrem Stoff. Und was machen die draus? Nichts! Das sei ’ne spannende Geschichte, aber einen schwarzen Hauptdarsteller wolle ja keiner im deutschen Fernsehen sehen, mussten sich Winger und Ricketts noch 2006 anhören. Und nur weil Ricketts nicht losließ und Winger mittlerweile so richtig wichtig war, hat dann rund 15 Jahre später … Nee, nicht der MDR! Der Streamer Disney+ hat „Sam – ein Sachse“ gemacht. Es gab zwar auch wieder Gespräche mit den Öffentlich-Rechtlichen, aber das habe zu lange gedauert, sagt Ricketts mit höflicher Zurückhaltung. Es ist nicht zu fassen! „Guten Stoff erkennen, ist ja nicht nur das eine. Den Mut und die Argumente für eine Umsetzung in einem so großen Laden zusammenzubringen, ist das unmögliche Abenteuer“, sagt die Mitbewohnerin. „Da wissen oftmals die Öffis auch selbst nicht, was bei rumkommt.“

Disney+ hat mit „Sam – ein Sachse“ auch gleich den Grimme-Preis gewonnen. Und prompt traut sich 2024 auch der MDR, die Serie zu wiederholen. Mit knapp 20-jähriger Verspätung kommt so der Stoff dahin, wo er von Anfang an hingehört hätte. Dass dies den öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Lehre ist, darf leider getrost bezweifelt werden. Und der Alltagsrassismus längst nicht nur in der ehemaligen DDR muss leider auch nicht näher erklärt werden.

Steffen Grimberg ist leitender Redakteur beim KNA-­Mediendienst