Hilfe, ein Arzt

Wer von Ärztinnen behandelt wird, hat höhere Überlebenschancen. Der Unterschied beträgt in den USA rund einen Todesfall pro 417 Patientinnen und Patienten. Auch in Europa behandeln Frauen deutlich besser

Besonders Frauen profitieren von Ärztinnen Foto: Andreas Pein/laif

Von Franca Parianen

Wem nützen weibliche Ärzte?.“ Diese Frage wurde auf dem deutschen Ärztetag 1898 eindringlich diskutiert. Der Referent war überzeugt: niemandem. Weder der Wissenschaft, noch den Kranken und schon gar nicht den Frauen selbst. Jedenfalls nicht, solange es genügend Männer gibt.

Heute ist das Experiment „weiblicher Arzt“ unumstößliche Realität und Studien beziffern den medizinischen Beitrag von Frauen auf Basis von Daten. Das Ergebnis ist eindeutig: Ärztinnen nützen allen. Besonders Frauen profitieren von ihrer Arbeit, vor allem wenn sie schwer erkrankt sind. Aber auch Männern geht es nach einer Behandlung durch eine Ärztin vielerorts besser als nach einer Behandlung durch einen Arzt. So wirft die Forschung – rund 125 Jahre nach den Grundsatzdebatten um weibliche Ärzte – die Frage in den Raum, was am Konzept männlicher Arzt schiefläuft.

Die neueste Studie, die den Erfolg der Ärztinnen bestätigt, stützt sich auf die Daten von rund 770.000 amerikanischen Patient*innen. Sie bescheinigt all jenen, die von Frauen behandelt wurden, signifikant höhere Überlebenschancen. Der Unterschied betrug rund einen Todesfall unter 417 Patient*innen. Hochgerechnet auf jährlich vier Millionen Einlieferungen in den USA entspricht das in etwa 10.000 Leben. Auch das Risiko, bald ins Krankenhaus zurückkehren zu müssen, lag merklich tiefer.

Die Ergebnisse decken sich mit denen einer noch größeren amerikanischen Studie, die 2017 mehr als 1,5 Millionen Behandlungsverläufe auswertete. Im selben Jahr befand eine kanadische Studie, dass Frauen, die von Männern operiert werden, ein 15 Prozent höheres Risiko für Komplikationen haben – und ein 32 Prozent höheres Risiko zu sterben. Aus Europa wissen wir, dass britische Krankenhäuser mit hohem Frauenanteil sicherer operieren. Dass es sich bei dem Geschlechterunterschied um ein internationales Phänomen handelt, hat eine Metaanalyse inzwischen bestätigt. Männer wurden übrigens in keiner Konstellation benachteiligt – allenthalben entstand auch ihnen durch Ärztinnen ein geringer Vorteil.

Die ersten Erklärungsansätze drehten sich vor allem um die Eigenschaften der Ärztinnen. Behandeln sie empathischer? Sind sie kooperativer? Viele Eigenschaften, die die Gesellschaft Frauen zuschreibt, wurden untersucht.

Tatsächlich nehmen sich Ärztinnen im Durchschnitt mehr Zeit für ihre Pa­ti­en­t*in­nen und in ihren Gesprächen eher Bezug auf die psychosoziale oder emotionale Ebene. Unter den Männern konnten hier nur Geburtshelfer und Gynäkologen mithalten. Gleichzeitig orientieren Ärztinnen sich tendenziell eher an aktuellen Richtlinien und Evidenzen, greifen öfter zu Früherkennung, bildgebender Diagnostik und Überweisungen an Expert*innen. Dafür fanden sich ihre Pa­ti­en­t*in­nen seltener in Notaufnahmen.

Das erklärt allerdings nicht, warum besonders Frauen von Ärztinnen profitieren, insbesondere diejenigen, die schwer krank sind. Daher werfen Forschende mittlerweile eine neue Frage auf: Nehmen männliche Ärzte diese Frauen und ihre Erkrankungen nicht ernst genug?

Studien zeigen, dass selbst medizinische Laien den Schmerz in Frauengesichtern unterschätzen – und ihnen dann eher zu Psychopharmaka raten und Männern zu Schmerzmitteln. Diese Tendenz nimmt mit den medizinischen Praxisjahren nicht unbedingt ab – sie kann sich sogar noch verschärfen. Im klinischen Alltag werden Frauen seltener in die Notaufnahme überwiesen und ihre Blinddarmentzündungen, Schlaganfälle und Herzinfarkte werden öfter übersehen – besonders dann, wenn sich ihre Symptome anders äußern, als es der Medizin von Männern vertraut ist. Genau daran sterben einige Frauen, und zwar eher, wenn sie von Männern behandelt wurden.

Männliche Ärzte in Deutschland verschreiben ihren Patientinnen tendenziell weniger Herzmedikamente als ihren Patienten und in der Schweiz wurde ihnen weniger Prävention verordnet. In Neuseeland bewerteten Ärzte die Probleme ihrer Patientinnen über Tausende Fragebögen hinweg weitaus seltener als gravierend, vermuteten dafür öfter verdeckte Motive und waren sich mit Diagnosen häufiger unsicher. Auf der anderen Seite gaben französische Patientinnen an, dass sie Ratschlägen zu Sport, Ernährung und Gewicht von männlichen Ärzten deutlich weniger vertrauen.

Dagegen erzielten deutsche Ärztinnen im Bereich Diabetes auch mit ihren im Schnitt älteren und schwereren Patientinnen bessere Ergebnisse als ihre Kollegen. Videoauswertungen zeigen, dass Ärztinnen ihre Patientinnen eher in den Mittelpunkt der Behandlung stellen. Diese berichten wiederum, dass sie gerade Unterleibsuntersuchungen durch Ärztinnen als weniger unangenehm empfänden. Einige schieben Untersuchungen prinzipiell hinaus, wenn keine Ärztin verfügbar ist.

Grundsätzlich drängen Behandelnde, die in der Medizin selbst marginalisiert werden, eher auf Fortschritt. So beklagten etwa Studentinnen weit häufiger, dass sie ihr Lehrmaterial nicht genügend auf die Behandlung von Frauen vorbereitet. Ärztinnen, genauso wie Angehörige von Minderheiten, verfolgten für die Behandlung aktiver neue Richtlinien. Das wirkt sich vielleicht sogar auf die Kollegen aus: Ärzte, die mit besonders vielen Frauen zusammenarbeiten, sind besser darin, ihre Herzinfarkte zu behandeln.

Die Bedeutung von Repräsentanz in der Medizin zeigt sich auch in Studien zu rassistischer Diskriminierung. In den USA werden Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Schwarzen Pa­ti­en­t*in­nen häufiger übersehen. Allein die Präsenz von Schwarzen Ärz­t*in­nen in einer Gemeinde verringert das Sterberisiko für diese Gruppe dagegen so sehr, dass es sich auf die Lebenserwartung auswirkt. Auch die Kluft zwischen den Überlebenschancen Schwarzer und weißer Neugeborener halbierte sich durch die Geburtsbegleitung von Schwarzen Ärzt*innen.

Bei Diskriminierung und Rassismus gilt ebenso: Der positive Effekt von Repräsentanz zeigt sich vor allem bei schweren Krankheiten und Geburten. Und: Weißen Pa­ti­en­t*in­nen entstand in keiner Konstellation ein Nachteil. Diversität ist in der Medizin also auf allen Ebenen ein Gewinn – und gleichzeitig stark ausbaufähig. Unter anderem die Perspektive von trans* und non-binären Personen kommt in bisherigen Studien noch zu kurz.

Zur Frage, wie die Medizin diverser werden kann, hat die Forschung einige Ergebnisse parat: Langfristige Mentor*innen-Programme helfen, genauso wie geschlechtersensible Förderpreise und ganzheitliche Bewerbungsprozesse, die auch Leistungen außerhalb des Krankenhauses anerkennen. Allein das Stichwort Diversität auf der Website zu erwähnen half, mehr Bewerberinnen zu motivieren.

Mindestens genauso wichtig wäre es allerdings, Hürden aus dem Weg zu räumen. Weltweit gibt es zwar immer mehr Ärztinnen, sie verdienen im Schnitt aber 9 bis 28 Prozent weniger als ihre Kollegen. Auch in Deutschland und zum Teil gerade weil sie mehr Zeit mit ihren Pa­ti­en­t*in­nen verbringen. Obendrein verschlechtern sich Löhne und Arbeitsbedingungen in medizinischen Disziplinen tendenziell, je mehr Zulauf sie von Frauen erhalten.

Im klinischen Alltag werden Frauen seltener in die Notaufnahme überwiesen, Herzinfarkte werden öfter übersehen

Neben der Arbeit erledigen Ärztinnen mehr Haushaltsaufgaben, müssen bei familiären Notfälle öfter freinehmen und werden dafür beruflich eher abgestraft. Erst vor Kurzem deckte eine Untersuchung an mehreren japanischen Universitäten auf, dass diese die Zugangstest­ergebnisse ihrer Medizinstudentinnen verfälschten, um ihren Anteil auf 30 Prozent zu beschränken.

In Deutschland sind inzwischen zwei Drittel der Medizinstudierenden Frauen, in der ambulanten Versorgung ab 2023 erstmals mehr als die Hälfte. In der Chirurgie und bei den Chefarztposten ist der Frauenanteil jedoch deutlich geringer.

Vereine wie „Die Chirurginnen“, „der deutsche Ärztinnenbund“ oder „Spitzenfrauengesundheit“ versuchen dem etwas entgegenzusetzen. Sie vereinfachen Vernetzung, vergeben Stipendien und bieten nebenbei auch Fortbildungen gegen medizinischen Rassismus. Manche Universitätsfakultäten fördern zusätzlich Vereinbarkeit von Beruf und Familie, indem sie das Teilen von Führungspositionen zulassen. Unterdessen setzt die Charité darauf, sämtlichen Praktizierenden mehr Geschlechterbewusstsein zu vermitteln – mit dem ersten deutschen Universitätsinstitut für Gendermedizin, gegründet von der Kardiologin Vera Regitz-Zagrosek.

Letztendlich kann man es nicht allein Ärztinnen aufbürden, das Problem „medizinischer Sexismus“ zu beheben. Genauso wie man es Patientinnen nicht zumuten kann, auf dem Weg in die Notaufnahme Frauenquoten zu checken. Sie alle verdienen die bestmögliche Behandlung, unabhängig davon, wer das Skalpell hebt.