Kunst oder liebevolle Entsorgung

Wohin nur mit all den Dingen? Manche stellen sie einfach vor die Tür, arrangieren sie in Vorgärten oder an Hauswänden. Gleich drei solcher Ansammlungen von Objets trouvés lassen sich in Wilmersdorf bestaunen

Kuscheltiere, Kitsch und Co verschönern so manchen (Vor-)Garten Foto: Dennis Yenmez

Von Helmut Höge

Diese Installation in flux im Vorgarten eines Mietshauses nächst dem Prager Platz besteht bis jetzt aus Kuscheltieren, kleinen Gartenzwergen, entsorgten Kitschgeschenken, Urlaubssouvenirs, Kinder- und Katzenspielzeug, bemalten Steinen, Kunstblumen, selbst gebastelten Geburtstagsüberraschungen, Bade­enten, Puppen, Plastiktieren, Nippesfiguren, einem EM-Hut und einigen Gemälden.

Letztere hat der Künstler Valeri Sarkisian, ein 71-jähriger Rentner aus Sochumi (Abchasien) am Straßenrand gefunden. Woher die anderen Gegenstände stammen, verriet er mir nicht. Sein Ensemble ist inzwischen so groß, dass nicht alles auf einmal fotografiert werden kann. Immer wieder bleiben Passanten davor stehen, Erwachsene sagen „Oh Gott!“ oder „Das ist ja schrecklich!“ Kinder sind jedoch ganz begeistert von den Objets trouvés und wollen nicht weitergehen. Neulich wurde ein Plüschbär daraus mitgenommen.

Eine ähnliche Ansammlung von Dingen sah ich einmal an der Hauswand eines Museums, das an Ingeborg Bachmann erinnern sollte. Auch an Orten, wo jemand ermordet wurde, gibt es mitunter eine solche Ansammlung von Dingen.

Gegenüber von Sarkisians Installation auf der anderen Straßenseite hatte ein psychisch kranker Islamist einer ehrenamtlich tätigen Gärtnerin die Kehle aufgeschnitten. Ihre Freundinnen hatten daraufhin alle möglichen Dinge und Fotos, die an sie erinnern sollten, zwischen den Pflanzen aufgestellt, aber diese hatten sie mit der Zeit überwuchert.

Ein paar Straßen weiter gibt es außerdem noch eine ganz ähnliche Installation wie die auf dem Foto. Das sind allein schon drei in diesem Teil von Wilmersdorf. Wenn man der Theorie des Soziologen Gabriel Tarde folgt, für den Gesellschaften daraus bestehen, dass ihre Mitglieder einander nachahmen, dann lässt sich mutmaßen, dass diese künstlerische Idee früher oder später ebenfalls aufgegriffen wird, von Mietern und Hausbesitzern in anderen Teilen der Stadt. So wie vor einigen Jahren die Begrünung der Baumscheiben. Das wurde zunächst von den Bezirksämtern verboten und bekämpft und dann, nachdem sie eine kritische Masse überschritten hatten, geduldet und sogar gefördert. Als das erreicht war, ließen die Anwohner vom Begrünen der Baumscheiben jedoch langsam wieder ab: Zum einen war der Pflanzenkauf dafür zu teuer auf Dauer und zum anderen wurden diese kleinen Gärtchen zu oft zerstört, von Hunden vollgeschissen oder vertrockneten, weil ihre Einrichter verreist waren und die Pflanzen nicht gegossen wurden. Hier und da ist es bereits zu einer halben Umwandlung dieser begrünten Baumscheiben gekommen, indem die Abnahme der lebenden Pflanzen mit einer Zunahme von toten Dingen einher ging, die jemand entweder auf der Straße gefunden und zu schade zum Entsorgen befunden hatte oder schlicht aus seiner Wohnung entfernen, aber sich doch noch nicht gänzlich von ihnen trennen wollte. Man sieht solche Installationen im Ansatz gelegentlich auch in den Vorgärten von Eigenheimbesitzern, besonders viele in Britz, Buckow und Rudow.

Wenn man weiß, dass eine Massaifamilie rund 30 Gegenstände besitzt, während eine Familie in Deutschland laut statistischem Bundesamt 10.000 hat, dann kann man sich wundern, dass es nicht viel öfter solche Auslagerungen unnützer Dinge in den Vorgärten gibt, denn es kommen ja ständig neue (an Geburtstagen, Weihnachten etc.) dazu, vor allem wenn man Kinder hat, die sich meist nur kurze Zeit mit einem neuen Spielzeug beschäftigen und dann nie wieder.

Im wohl eher gebrauchswert­orientierten Pankow legen die Mieter solche Sachen, aber auch Kinderklamotten, Schuhe und Krimis, gerne in Kartons auf die Einfassungen ihrer Vorgärten ab, auf dass jemand Interesse an ihnen hat und sie mitnimmt. Auch zwischen den Pflanzen in Schrebergärten sieht man oft irgendwelche Gegenstände zwischen den Rabatten und Büschen. Meist sehen sie so aus, als hätte jemand im Gartengroßmarkt oder in einem Geschenkeladen nicht widerstehen können und sie gekauft. Die diesbezüglichen Industrien lassen sich alle paar Monate etwas Neues einfallen.

Gartenzwerge sind noch nicht gänzlich verpönt, die arbeitenden aber abgelöst von liegenden

Auch Gartenzwerge sind noch nicht gänzlich verpönt, dabei wurden die arbeitenden Zwerge mit Hacke, Schaufel oder Schubkarre zunächst abgelöst von solchen, die nachdenken, liegen oder im Sitzen lesen. Oder aber gegen rosa Flamingos oder nackte Schönheiten im griechischen Stil ausgetauscht.

In Kreuzberg und Neukölln, wo es kaum Vorgärten gibt, beseitigt man alles Mögliche, von Kinderbetten über Waschmaschinen bis zu Fernsehern, aber auch jede Menge Kleinzeug, einfach an den Straßenbäumen oder zwischen den Mülltonnen im Hinterhof. Dort müssen dann alle Mieter für die Sperrmüllentsorgung zahlen. Wo niemand eine Baumscheibe bepflanzt hat oder sie nicht mehr bepflanzt wird, fegen die anliegenden Geschäfte Kippen, Plastikbecher und Glasscherben an den Baum. Am Liebsten mit einem Laubbläser! In der Wiener Straße gab es bis vor ein paar Jahren einen alten Türken, der schon morgens um sechs alle Baumscheiben von diesem Abfall befreite und in den orangenen BSR-Tonnen entsorgte, aber er wurde dann in ein Siechenheim eingeliefert.