René Hamann
: Mein Leben als Zugbindung

Neulich stand wieder einmal der jährliche Besuch bei der väterlichen Familie an, also bei meiner. Meine Familie wohnt am weit entfernten Niederrhein, dies- und jenseits der niederländischen Grenze, und das schließt eine lange Bahnfahrt mit ein, weil wir uns aus ökologischen wie finanziellen Gründen keinen Flug leisten wollen beziehungsweise das auch keine große Erleichterung wäre, da der Niederrhein zwar einen kleinen Flughafen in Weeze hat, aber einen Direktflug Wien-Weeze gibt es nicht.

Selbstverständlich gibt es einen Flughafen in Düsseldorf, was man spätestens merkt, wenn man im Regionalzug von Köln nach Duisburg sitzt. Der fährt nämlich normalerweise über Düsseldorf-Flughafen, ist allerdings meist schon vorher mit Menschen vollgestopft und darf dann noch mal ein bis zwei Flugzeugladungen Passagiere in sich aufnehmen. Eine heitere Fahrt bis Duisburg!

Oh, eigentlich sollte das eine Kolumne über die heilige Familie werden. Aber die Bahn ist bekanntlich immer für eine Kolumne gut, so auch diesmal. Die Deutsche Bahn ist, Stichwort Verkehrswende, tatsächlich die beste Werbung für Auto und Flugzeug. Mittlerweile kann man sie herrlich austricksen – schön im Voraus die billigste Verbindung buchen und dann am Reisetag die schnellste nehmen; denn die Zugverbindung wird schneller aufgelöst als der erste Zug fährt. Denn irgendeine Verspätung gibt es immer. Isso.

Fährt man mit der Familie, lernt man unweigerlich andere Leute kennen, dafür sorgt allein die kontaktfreudige Tochter. Auf der Hinfahrt begegnete uns eine lustige Gärtnergruppe aus der Nähe von Wien, die nach Hamburg zum Gartenfestival wollte. Oder nach Wietze, dort gibt es nämlich noch eins.

Was Gärtner auf einem Gartenfestival machen, weiß Gott allein. Gibt es Unkrautjät-Happenings im Morgengrauen? Wird wettgepflanzt und „More Rain!“ geschrien? Werden auf den sanitären Anlagen heimlich illegale Samen getauscht?

Einer der Gärtner trug meinen Vornamen und einen stattlichen Schnörres, der jeden Karnevalskölner vor Neid erblassen ließe. Tätowiert waren die Gärtnerinnen und Gärtner auch, also mögen auch sie, die sonst vielleicht nicht besonders in der Öffentlichkeit stehen, es sei denn, es werden Mörder gesucht, moderne Selbstdarstellung. Auf der Rückfahrt, eine Woche später, saß die Gruppe fast komplett wieder im selben Zug. Bahn verbindet!

Außerdem lernten wir eine Texanerin kennen, die ein sehr gutes Deutsch sprach, weil sie Tochter von deutschen Exilanten war, die in Texas eine deutsche Bäckerei eröffnet hatten. Sie war mit Freundin zum Taylor-Swift-Konzert in München unterwegs. Flugreise von Texas nach Frankfurt plus Bahn und Übernachtung plus Karten kamen sie insgesamt billiger, als ein Swift-Konzert in Santa Fé zu besuchen. Erstaunlich. Das muss dieser komische Event-Kapitalismus sein, noch ein Grund, warum das mit der Verkehrswende nicht funktioniert.