Heike Holdinghausen über Preußenkitsch in Potsdam
: Verunsicherte Gesellschaft

Der Wiederaufbau der Garnisonkirche ist als Symbol des preußischen Militarismus abzulehnen? Ach was. Preußen ist selbst in Potsdam so mausetot, dass auch seine Symbole niemanden erschrecken müssen. Seine Reste lassen sich in fast jede politische Richtung kneten, mit Toleranzedikt und Allgemeinem Landrecht nach Mitte-links, mit Militarismus und Kaiserreich nach rechts. Die Symbolik ist so beliebig, dass sie auch schon wieder egal ist. Das Zeichen, das der Wiederaufbau der Garnisonkirche setzt – ausgerechnet auf Kosten eines alten DDR-Rechenzentrums, das inzwischen zu einem soziokulturellen Freiraum geworden ist –, ist gleichwohl beunruhigend.

Die neue alte Kirche im Zentrum weist auf eine verunsicherte Gesellschaft, die gerne diskutiert, wo sie herkommt, aber keinerlei Idee davon hat, wo sie hin muss. Wer durch die Potsdamer Innenstadt flaniert, kann das auf wenigen Quadratmetern besichtigen: Ein kurzer Weg ist es von der Garnisonkirche bis zum weitgehend original aufgebauten Stadtschloss, vor dem putzige Reihenhäuser auf historischem Grundriss fast fertig gebaut sind; dafür musste die Fachhochschule weichen. Der Staudenhof, ein Plattenbau, der günstigen Wohnraum bot, wird gerade abgerissen; auch dort folgen Neubauten. Ressourcensparendes, gemeinwohlorientiertes, klimaneutrales Bauen und Wohnen? Hier nicht. Wer ein Bild sucht für eine Gesellschaft, die sich mutlos an die fossile Industrie des vergangenen Jahrhunderts klammert, sich Wohnen und Produzieren nur räumlich getrennt vorstellen kann und das gute Leben im Konsumieren sucht – die findet es hier, mitten in Potsdam.

Wer danach noch einen Ausflug an den Stadtrand macht, fährt durch Eigenheime und teuren Geschosswohnungsbau, autogerecht, mit Gasanschluss. Erst seit Kurzem gehen die Stadtwerke das Thema Fernwärme durch Geothermie an. Der Ausbau der Straßenbahn an geplante Neubauviertel im Grünen hingegen scheitert – am Denkmalschutz.

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