Reizempfänger und Klangerzeuger

Es knarzt und rattert und pulsiert. Mit der Klangkunst-Ausstellung „Sounds Of Bethany“ feiert das Künstlerhaus Bethanien seinen 50. Geburtstag

Von Robert Mießner

Eine Hommage an die Elemente und ihre Tonlagen, an Berlin und seine Klangfarben und eine Untersuchung, wie sich das eigentlich anhören lässt, ist die Ausstellung zum 50. Jubiläum des Künstlerhauses Bethanien. Seit 2010 hat es sein Domizil in der Kottbusser Straße in Kreuzberg. Das Künstlerhaus wird gerahmt von einem Café und einem Geschäft für Waschmaschinen. Die weißen Riesen geben ziemlich gute Trommler ab, und vielleicht finden ihre Rhythmen auch Eingang in die Installation, die die Besucher von „Sounds Of Bethany“ empfängt: „plus.minus.kleiner als.größer als X“ heißt die neue Arbeit, in der Robert Lippok ein Ensemble aus Reizempfängern und Klangerzeugern aufgebaut hat.

Ein Glaskörper wie aus der chemischen Industrie, Neonröhren, Lautsprecher, Resonatoren, Motoren und ein Modularsystem bilden eine alchemistische Zimmerbaustelle. Holz rattert und Metall klingt wie von unsichtbarer Hand gesteuert. Wer eintritt, trägt zur Installation bei: Es gibt viele verschiedene Arten, eine Tür zu öffnen und einen Raum zu betreten. Dass sie alle unterschiedlich klingen, fließt in Lippoks Labor ein. Der Musiker, Komponist und bildende Künstler hat den Ansatz einer Ausstellung von 2023 in der Galerie Pankow für das mit seinem Bruder Ronald Lippok betriebene offene Bandprojekt Ornament & Verbrechen aufgegriffen, er überschreitet die Grenze zwischen Innen und Außen.

Lippok bringt Kontaktmikrofone zum Einsatz. Sie nehmen die Vibrationen des Gebäudes und seines Fundaments auf. Die U-Bahn-Linie 8 grundiert das Klangbild. „Der künstlerische Raum ist nicht nur der Galerieraum“, sagt Christoph Tannert, seit 1992 am Bethanien und von 2000 bis 2024 sein künstlerischer Leiter wie auch Geschäftsführer. Er weist auf die Künstlerin Christina Kubisch hin: Sie hat vor einigen Jahren die Besucher einer Bethanien-Ausstellung mit Kopfhörern zu einem Klangspaziergang auf die Kottbusser Straße verführt, in dem Straßengeräusche Teil der Komposition wurden.

Einer Klanginstallation Kubischs aus den Jahren 1988/89 gehört einer der Räume von „Sounds Of Bethany“: „Die Konferenz der Bäume“ findet statt zwischen fünf spiralförmig mit Kabeln umwickelten Bonsais, die auf einem ovalen Stehtisch Platz genommen haben, eine Handvoll frisches Grün auf einer weißen Holzplatte. Das Möbelstück lässt sich mit einem Paar elektromagnetischer Kopfhörer umrunden und dabei eine 5-Kanal-Komposition Kubischs buchstäblich durchlaufen: Flächige Klänge gehen in pulsierend körnige Sounds über, je nach Abstand und Standort ändern sie ihre Lautstärke oder trennen sich. Die Idee kam Kubisch 1987 während einer Residenz in Worpswede. Der Name assoziiert heutzutage die Künstlerkolonie, dabei war und ist die Gegend Militärgebiet. Kubisch wollte einen Kontrapunkt zu Truppenmanövern und Umweltzerstörung setzen.

Die U-Bahn-Linie 8 grundiert hier das Klangbild: „plus.minus.kleiner als.größer als X“ von Robert Lippok Foto: Thomas Rusch

Die Installationen von Robert Lippok und Christina Kubisch sind zwei von insgesamt 19 aktuellen und historischen Arbeiten, die der Kurator Carsten Seiffarth auf zwei Etagen zusammengestellt hat. Hinzu kommen Videos. Für ein kurzweiliges Intermezzo sorgt ein Clip von Frieder Butzmann. In „Akkordarbeit – Für Nam June Paik“ umrundet der Komponist „komischer Musik“, so Butzmann über Butzmann, im Seemannspullover und mit dunkler Kappe unzählige Male einen Konzertflügel und spielt im Vorbeilaufen kurze Akkordsplitter. Dass an der Wand eine Uhr mit Testbild-Zifferblatt hängt, mag ein Hinweis auf die Kunstrichtung und Lebenspraxis sein, der sich viele der ausgestellten Werke verdanken und zu deren Protagonisten Nam June Paik gehört: Fluxus, jener Pfiff auf die Hochkultur. Am Ende wirft Butzmann eine Vinyl-LP auf die Klaviersaiten. Das klingt wie eine Zitherpauke.

Der Langspielplatte kommt eine prominente Rolle in der Ausstellung zu: In den Exponaten der Bildhauerin Claudia Märzendorfer erfährt das für seine Langlebigkeit geliebte Medium eine Umdeutung beziehungsweise Richtigstellung. Was wir hören, ist der Schall einer Schwingung, die bereits begonnen hat. Märzendorfer hat ihre Sammlung von Eis-Schallplatten beigesteuert: LPs, die je nach Raumtemperatur ein- bis zweimal abspielbar sind. Zu hören gab es diese Vergänglichkeitsmahnung, analog zu Robert Lippoks U-Bahn als Hinweis auf einen schwankenden Grund, am Eröffnungsabend. In der Auslaufrille zerflossen die Sounds buchstäblich, erinnert sich Seiffarth. Die Artefakte sind in einer Kühltruhe verwahrt und die aus einer geschnittenen Vinyl-LP gegossenen Silikonvorlagen in einem Archivschrank gesichert.

In einem Clip anhören und anschauen lässt sich Wojciech Bruszewskis „Gramophone“ aus dem Zyklus „Some Music“: Der Filmemacher und Videokünstler hat einen Plattenspieler mit vier Tonarmen entwickelt. An verschiedene Stellen einer LP mit einer Cello-Suite von Johann Sebastian Bach gesetzt, entwickelt sich eine vielschichtige Überlagerung. Kupferband als Speichermedium, das die Besucher mit einer speziellen Konstruktion eigenhändig abtasten können, verwendet der Architekt und Sonologe Raviv Ganchrow in „Spark Reach“, einer Kombination aus Blitzen, Tropenstürmen und Bienen. Danach empfiehlt sich ein Besuch des Ruhepols der Ausstellung: In „Trainwaves“ inszeniert Maia Urstad einen Bahnhof nach Anbruch der Dämmerung. Die verschiedensprachigen Durchsagen und das Knarzen der Technik sind die einzige Musik, aber was für eine.

„Sounds Of Bethany. 50 Jahre Künstlerhaus Bethanien“: Historische Klangarbeiten und neue Klanginstallationen, Künstlerhaus Bethanien, bis 18. August