Angriff auf die „Zionistenpresse“

Schläge, Tritte, Verfolgungen bis nach Hause: Die Situation für Jour­na­lis­t*in­nen auf antiisraelischen Demos wird seit dem 7. Oktober immer gefährlicher. Manche ziehen sich deshalb zurück

November 2023: Ordner einer propalästinensischen Demonstration versuchen, Pressearbeit zu verhindern Foto: Florian Boillot

Von Nicholas Potter

Es ist eine neue Qualität der Pressefeindlichkeit im linken Spektrum: Iman Sefati soll am vorvergangen Freitag nach Hause verfolgt und mit einem Messer bedroht worden sein. Direkt davor hatte der Bild-Reporter über den Berliner „Dyke* March“ berichtet. Was eine Demonstration für lesbische Sichtbarkeit sein sollte, wurde von „Intifada“-Rufen übertönt – und endete mit einem Vorfall, der unter Journalistenverbänden für Entsetzen sorgt. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) berichtet außerdem: Ein weiterer Journalist sei auf der Demo in den Bauch geschlagen und eine Journalistin an den Haaren gezogen worden.

Seit einigen Jahren schon wächst die feindliche Stimmung gegen die Presse auf linken Demos, die sich das Thema Palästina auf die Fahnen schreiben. Schon vor dem Hamas-Angriff gegen Israel am 7. Oktober kam es immer wieder zu Anfeindungen, Beleidigungen oder gar zu körperlicher Gewalt gegen Medienvertreter*innen.

Im Mai 2021 wurden etwa Jour­na­lis­t*in­nen auf einer Demo zum „Nakba“-Tag auf der Berliner Sonnenallee bedroht, als „Lügenpresse“ beschimpft und sogar zum Kampf aufgefordert. Im April 2022 wurden Jour­na­lis­t*in­nen bei einer Demo von „Palästina Spricht“ auf dem Berliner Hermannplatz als „Drecksjude“ oder „Zionistenpresse“ beschimpft und körperlich attackiert.

Dieser Trend verstärkt sich seit dem 7. Oktober. Die taz sprach mit mehreren Journalist*innen, die regelmäßig über unterschiedliche Demonstrationen berichten – vom rechten Rand bis zum linken Spektrum. Vor allem bei antiisraelischen Demos, auf denen antiimperialistische Gruppierungen wie „Palästina Spricht“ oder „Migrantifa“ auf Hamas-Fans treffen, erlebten sie eine zunehmend feindselige Atmosphäre, die ihre Arbeit immer schwerer macht, sagen die Journalist*innen. Dabei gibt es ein öffentliches Interesse, über solche Demos zu berichten: Immer wieder werden terrorverherrlichende oder antisemitische Parolen skandiert.

„Die Lage ist bedrohlich bis gefährlich“, sagt Jörg Reichel der taz. Er ist Landesgeschäftsführer der dju in Berlin-Brandenburg und beobachtet die Pressefreiheit auf Demos seit Jahren. Seit dem 7. Oktober hat die Gewerkschaft alleine in Berlin 36 körperliche Übergriffe gegen Jour­na­lis­t*in­nen erfasst, die von antiisraelischen De­mo­teil­neh­me­r*in­nen ausgingen – von Flaschenwürfen bis Fahnenstangenschläge.

Die „bürgerliche Presse“ ist seit eh und je ein Feindbild in manchen linksautonomen Kreisen. Gemeint sind damit alle Medien, deren Ausrichtung von liberal bis konservativ reicht. 1968 kam es zu Blockaden gegen den Springer-Verlag, „Kameramann-Arschloch“ war bis in die 1990er Jahre eine beliebte Parole im schwarzen Block der Antifa. „Von der Hausbesetzer- und Wagenplatzszene bis hin zu linksradikalen Kleingruppen gibt es heute noch natürlich eine Verbalradikalität, aber es gibt keine persönlichen Bedrohungen von Journalisten“, sagt Reichel.

Das sei nicht nur rechts außen anders, sondern auch auf antiisraelischen Demos: „Wer von den Teil­neh­me­r*in­nen nicht als Pressejournalist anerkannt wird, wird in der Regel mindestens beleidigt, bedroht oder körperlich angegriffen“, sagt Reichel. Es gebe lediglich eine Handvoll an „Medien­akti­vis­t*innen“ der Szene oder bestimmte Journalist*innen, vor allem von arabischen oder türkischen Sendern, die frei arbeiten könnten. Die Medienhäuser, die inzwischen als „Feinde“ gelten, seien vielfältig: von der Bild über den Tagesspiegel bis zur taz. „Es werden auch dpa- und RBB-Reporter angegangen“, sagt Reichel.

Ein Vorfall ereignete sich im Januar in Leipzig: Nach einer Demonstration der antiisraelischen Gruppierung Handala wurde ein Videojournalist, der für Sachsen Fernsehen berichtet, mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf und Rücken attackiert.

Beim umstrittenen „Palästina-Kongress“ in Berlin im April, der kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst wurde, wurden Re­por­te­r*in­nen als „zionistische Lügner“ und „Dreckspresse“ beschimpft. Manche wurden körperlich angegriffen. Die Ver­an­stal­te­r*in­nen verwehrten zunächst einigen den Zutritt, weil sie für Axel Springer, Stern oder dpa arbeiten würden. Die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch sprach von einer „beunruhigenden Missachtung des grundlegenden demokratischen Prinzips der Pressefreiheit“. Am Ende musste die Polizei diese durchsetzen.

Der Tagesspiegel-Reporter Julius Geiler kennt solche Anfeindungen aus erster Hand, er wurde schon mehrfach bedroht. „Vor ein paar Jahren sprühte jemand auf einer Litfaßsäule, dass ich Kreuzberg-Verbot habe, weil Leute mit meiner Berichterstattung zu Nahost nicht einverstanden waren“, sagt er der taz. „Die Pressefeindlichkeit auf propalästinensischen Demos hat aber seit dem 7. Oktober extrem zugenommen – und das hat mit der Radikalisierung der Szene zu tun.“

Auch der Tagesspiegel selbst gerät immer mehr ins Visier der Szene. Im März fand ein Protest vor der Redaktion statt. Der Vorwurf: „Verleumdung“ und „Falschberichterstattung“ beim Thema Nahost. Später wurden rote Dreiecke – das Symbol der Hamas zur Feindmarkierung – auf die Fassade des Hauses gesprüht. Und nach einem Kommentar des Tagesspiegel-Reporters Sebastian Leber im Juli zu Terrorverherrlichung auf vermeintlich propalästinensischen Demos erhielt der Autor Morddrohungen.

All das hat Folgen. Die bedrohliche Situation für Jour­na­lis­t*in­nen führt zur „Selbstzensur“, sagt eine freie Fotojournalistin der taz, die jahrelang von rechtsextremen Demos berichtet hat, aber aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. Seit dem 7. Oktober hat sie auch viele antiisraelische Demos dokumentiert. Doch seit anderthalb Monaten habe sie sich zurückgezogen: „Es ist mir persönlich einfach zu gefährlich geworden.“ Und sie ist nicht die Einzige.

Die „Feinde“ sind vielfältig: Medienhäuser von der „Bild“, über den „Tagesspiegel“ bis zur taz

Auch Grischa Stanjek, Mitgründer des Vereins Democ, der demokratiefeindliche Bewegungen beobachtet, berichtet heute seltener vor Ort. „Es wurde zu gefährlich“, sagt er der taz, „und das ist beunruhigend.“ Ein Kollege sei auf einer Demo von einem Feuerwerkskörper verletzt worden, es habe zudem Hinweise gegeben, dass manche De­mo­teil­neh­me­r*in­nen bewaffnet sein könnten. „Die Bedrohung ist viel größer geworden als in den Jahren zuvor.“

Die Videos von Democ wurden in den sozialen Medien bereits millionenfach angeschaut. Ein Video vom 15. Oktober zeigt Hamas-Parolen und Rangeleien zwischen Polizei und Protestlern auf dem Potsdamer Platz in Berlin. „Die anhaltende Bedrohung hat Konsequenzen, nämlich, dass fast niemand mehr über solche kleineren Versammlungen oder Spontandemonstrationen berichtet“, beklagt Stanjek.

Am Tag nach der Messerbedrohung vor Iman Sefatis Haustür nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter auf dem Internationalist Queer Pride in Berlin-Neukölln fest, bei der es ebenfalls zu „Intifada“-Rufen und antisemitischen Parolen kam.

Für dju-Geschäftsführer Jörg Reichel ist der Vorfall vor Sefatis Haustür eine „Grenzüberschreitung“. Er vergleicht die zunehmende Pressefeindlichkeit mit der Feindlichkeit zum Höhepunkt der Covidpandemie, als Jour­na­lis­t*in­nen immer wieder beleidigt und attackiert wurden. „Wir hatten aber während der Coronaphase keine Sachbeschädigung von Pressehäusern und keine Bedrohung im privaten Bereich mit Messer“, so Reichel. Auch wenn er selbst am Rande einer Querdenken-Demo im August 2021 krankenhausreif verprügelt wurde.